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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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können nur existieren, weil es Beutetiere gibt, und doch gefährden sie jede Art, von der sie sich ernähren. Wenn Psychopathen zu zahlreich werden, gefährden sie ebendie Atmosphäre des Vertrauens, auf die sie angewiesen sind. Leider wird das nicht nur ihnen schaden, sondern auch den ehrlichen Menschen, die sich im Interesse der Zusammenarbeit fair verhalten. Die Biologie zeigt uns, dass Betrug in jedem System leider unausweichlich ist, daher müssen wir vermutlich die Psychopathie als unvermeidlich hinnehmen – als den Anpassungsmechanismus einer Minderheit, die sich die Vorteile ethischer Regeln zunutze macht, ohne sich an sie zu halten.
    Da Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg unserer Art ist, haben sich zwei wichtige Mechanismen entwickelt, um die Versuchung zum Betrug einzudämmen. Erstens hat die genetische Evolution dafür gesorgt, dass zumindest Männer Freude daran haben, Menschen zu bestrafen, die gegen die Goldene Regel verstoßen. 67 Diese Freude könnte uns spontan motivieren, Schwindler zu bestrafen, was den Nutzen des Betrügens beeinträchtigen und damit die Vorteile der Zusammenarbeit bewahren könnte. Joseph Henrich von der Emory University in Atlanta hat vor Kurzem zusammen mit einer internationalen Gruppe von Forschern überzeugende Belege für diese These gefunden. Das Team untersuchte fünfzehn verschiedene Kulturen – von städtischen afrikanischen, amerikanischen und asiatischen Gesellschaften bis zu isolierten Kleinkulturen auf den tropischen Inseln Ozaniens, in den Regenwäldern Südamerikas und in der afrikanischen Savanne. Die Forscher stellten fest, dass es in allen diesen Kulturen Menschen gab, die bereit waren, für die Bestrafung einer unfairen Person Geld zu bezahlen. 136 Eine so universelle Bereitschaft, unfaire Gesellschaftsmitglieder zu bestrafen, lässt darauf schließen, dass die meisten Menschen weltweit einen genetischen Anpassungsmechanismus gemeinsam haben, der fairer Zusammenarbeit förderlich ist.
    Zweitens verlassen wir uns in den meisten Gesellschaften nicht nur darauf, dass Mitbürger schon die Menschen bestrafen werden, die die Goldene Regel verletzen. Wir setzen auch Polizeibeamte und Richter ein und zahlen Steuern zu ihrer Finanzierung, damit diese mächtigen Institutionen die Personen bestrafen, die unsere Gesetze übertreten.
    Bei ethischen Individuen wirken Gesetze und altruistische Bestrafung im gleichen Sinn wie gemeinsame Schaltkreise. Zusammen sorgen sie dafür, dass ein intuitiv ethisches Individuum die Folgen berücksichtigt, die seine Taten für andere haben. Für einen psychopathischen Menschen ist die Angst vor Bestrafung möglicherweise der einzige Faktor, der ihn daran hindert, anderen Schaden zuzufügen. Gesetze lassen sich also als notwendige Maßnahmen verstehen, um die Kooperation zu stabilisieren und uns vor den Raubtieren des Vertrauens zu schützen.

EPILOG Sind Spiegelneuronen gut oder schlecht?
    Als ich darüber nachzudenken begann, wie wir die soziale Welt um uns her verstehen, sah ich ein Problem darin, dass ich hier, in meinem Gehirn und meinem Körper, bin und ihr anderen alle dort draußen in der Welt seid, meinem unmittelbaren Zugriff entzogen. Wie kann ich eine Vorstellung von euch haben? Euch verstehen? Meine Sicht auf die menschliche Natur war typisch westlich – die eines solipsistischen Individuums.
    Die Entdeckung der gemeinsamen Schaltkreise verändert unsere Vorstellungen von der menschlichen Natur. Wir sind nicht vollkommen getrennt von den Menschen um uns her. Viele Hirnareale, die einmal als Bollwerke der Individualität galten, erweisen sich als Schauplätze unserer sozialen Natur. Wie sich zeigt, wird in den motorischen Regionen, in denen wir unsere nächsten Handlungen planen – diese Domänen des freien Willens und individueller Verantwortlichkeit –, unser eigener Wille mit den Handlungen und Absichten anderer Menschen vermischt. Die Insel, in der wir den emotionalen Zustand unseres eigenen Körpers spüren, spiegelt auch die Emotionen anderer, als wären sie ansteckend wie die Vogelgrippe. Das somatosensorische System, das traditionell der »Propriozeption« zugerechnet wird, der Wahrnehmung des Selbst, repräsentiert auch den Zustand anderer Körper. In all diesen gemeinsamen Schaltkreisen, gibt es neben Neuronen, die ausschließlich für das Selbst zuständig sind, auch solche, die sowohl auf uns selbst als auch auf andere reagieren.
    Wie viel von unsist also rein privat? Wie viele körperliche Fertigkeiten

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