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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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dass sie uns täten . Der Umstand, dass so viele weise Männer die Regel derart subjektiv formuliert haben, spricht für die These, dass die Goldene Regel an einen in die gleiche Richtung weisenden, angeborenen neuronalen Mechanismus appelliert: die gemeinsamen Schaltkreise.
    Gesetze gibt es wegen Betrügern und Psychopathen
    Die Goldene Regel sagt uns auch etwas über die Grenzen der intuitiven Ethik. Wenn unsere Gehirne so hochmoralisch wären, wozu bräuchten wir dann explizite Goldene Regeln? Die Antwort ist kompliziert. Erstens können gemeinsame Schaltkreise von unserer Aufmerksamkeit beeinflusst werden. Wenn wir absichtlich vermeiden, die negativen Folgen unseres Verhaltens zu berücksichtigen, erhalten unsere gemeinsamen Schaltkreise wenig Belege für Leid, das wir mitempfinden können. Wenn wir gezielt nach den Konsequenzen unseres Verhaltens Ausschau halten, bekommen die gemeinsamen Schaltkreise mehr Nahrung für ihre Anteilnahme. Unter anderem hält uns die Goldene Regel dazu an, auf die sozialen Folgen unseres Verhaltens zu achten und solcherart den Einfluss gemeinsamer Schaltkreise zu verstärken und uns zu ethisch bewussteren Wesen zu machen. Auf diese Weise tragen viele Religionen zu moralischem Verhalten und Kooperation in ihren Gesellschaften bei. Der Umstand, dass sich heute mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung zur Goldenen Regel bekennen, ist dem Wohlergehen und der Stabilität unserer Gesellschaften zuträglich.
    Im Übrigen bewirkt die Goldene Regel mehr, als nur unsere Aufmerksamkeit auf andere Menschen zu lenken. In den meisten Gesellschaften hat sich die Goldene Regel im Recht niedergeschlagen, weshalb offizielle Repräsentanten des Staates wie Richter und Polizeibeamte die Übertretung dieser Gesetze ahnden.
    Solche Bestrafung ist manchmal unabdingbar, weil wir, wenn unser Wohlergehen davon abhängt, dass wir anderen Menschen Schaden zufügen, den Standpunkt anderer zugunsten unseres eigenen vernachlässigen müssen. Ein armer Mann, der Brot stiehlt, um seine hungrigen Kinder zu ernähren, kann zwar die Betroffenheit des Bäckers nachempfinden, wird dieses Gefühl aber angesichts der dringenden Bedürfnisse seiner Kinder unterdrücken. Der Wettbewerb um begrenzte Ressourcen in einer Gesellschaft schafft genau diese Bedingungen und Gesetze, die uns davon abhalten, die Bedürfnisse anderer Menschen zu missachten, indem sie uns Strafen androhen für den Fall, dass wir die Interessen anderer verletzen, sorgen für den Zusammenhalt in realen Gesellschaften, in denen die Kraft gemeinsamer Schaltkreise selten ausreicht.
    Nicht zuletzt bleibt die Psychopathie ein wichtiger Grund für ethische Gesetze und Strafen. Nach einer allgemeinen evolutionären Tendenz fördert jedes System einen kleinen Prozentsatz von Betrügern, die das ganze System zum Zusammenbruch bringen können, wenn sie nicht in Schach gehalten werden. Die meisten von uns verhalten sich ethisch, indem sie die Rechte anderer Menschen achten. In dieser Situation wird psychopathisches Betrügen zu einem erstaunlich einträglichen Geschäft. Wie würden Sie sich verhalten, wenn eine Frau zu Ihnen an die Tür käme, Sie bitten würde, ein paar Euro zu spenden, um Waisenkindern in der Dritten Welt zu helfen, und Ihnen Fotos von traurig und hungrig aussehenden Kindern zeigte? Sie würden dieser Person vertrauen. Sie würden Empathie für die armen Waisenkinder empfinden, und Sie würden den Wunsch verspüren zu helfen – denn was sind schließlich ein paar Euro für Sie im Vergleich zu der einen Woche Nahrung, die der Betrag für die Kinder bedeutet? Also spenden Sie das Geld. In vielen Fällen kommt es tatsächlich den Waisenkindern zugute, doch die Leichtigkeit, mit der man den Menschen mit dieser Methode Geld entlocken kann, hat zur Folge, dass es manchmal auch direkt in die Tasche eines Schwindlers wandert. Das ist ein relativ harmloses Beispiel, doch stellen Sie sich vor, welchen Schaden ein betrügerischer Angestellter in einer Lebensversicherungsgesellschaft anrichten kann. Er könnte sich mit der Alterssicherung Hunderter hart arbeitender Menschen aus dem Staub machen. Wenn das oft genug geschieht, würden die Menschen aufhören, Versicherungsgesellschaften zu trauen, und das gesamte Pensions- und Krankenversicherungssystem würde zusammenbrechen. Das hätte den raschen Niedergang unserer Marktwirtschaften und letztlich Chaos zur Folge. Psychopathen sind für ethische Individuen, was Löwen für ihre Beutetiere sind. Löwen

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