Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
nachdem wir zahlreiche Studien an Menschen durchgeführt hatten.
KAPITEL DREI Spiegeln beim Menschen
Valeria und ich lernten uns in Parma bei einem Kletterkurs kennen. Sie beendete ihr Biologiestudium, und ich arbeitete über Spiegelneuronen bei Affen. Nach diesem ersten Kennenlernen entwickelte sich unsere Beziehung nur langsam. Wir trafen uns von Zeit zu Zeit, doch erst auf einer gemeinsamen Reise nach San Francisco wurden wir uns darüber klar, dass wir eine gemeinsame Zukunft wollten. Nach Italien zurückgekehrt, zogen wir schon bald zusammen. Zwei Jahre später heirateten wir, und 2004 gingen wir nach Groningen in den Niederlanden, wo wir gemeinsam ein hochinteressantes Projekt in Angriff nahmen: Am neu gegründeteten NeuroImaging Center schickten wir uns an, in einem eigens dafür geschaffenen neurowissenschaftlichen Labor das Spiegelneuronensystem des Menschen zu untersuchen. Doch während wir alle Hände voll damit zu tun hatten, unsere Hochzeit vorzubereiten, ein neues Leben zu beginnen und unser Labor herzurichten, setzte die Erforschung der Spiegelneuronen ihre rasante Entwicklung stürmisch fort und lieferte uns die Grundlagen für unsere eigene wissenschaftliche Tätigkeit.
Der Anblick einer Handlung aktiviert unseren Körper
Kurz nachdem die Gruppe in Parma Spiegelneuronen bei Affen entdeckt hatte, stellten sich weltweit Neurowissenschaftler, die sich für soziales Bewusstsein interessierten, die Frage, ob es ein ähnliches System beim Menschen gebe. Leider ist es schwieriger, dessen Existenz beim Menschen nachzuweisen, weil wir Spiegelneuronen dort selten direkt messen können. Gegenwärtig kann man die Aktivität einzelner Neuronen nur messen, indem man dünne Drähte im Gehirn implantiert – so wie wir es bei Affen gemacht haben. Natürlich birgt eine solche Implantation gewisse Risiken. Die dünnen Drähte können dem Hirngewebe leichte Verletzungen zufügen, ähnlich einer dünnen Subkutannadel, die bei einer Insulininjektion die Haut beim Durchbohren etwas beschädigt. Doch im Gegensatz zur Haut ist die Regenerationsfähigkeit des Gehirns minimal. Ein Stich in der Haut heilt schnell, doch ein Schlaganfall im Gehirn hat, wie wir nur allzu gut wissen, oft genug dauerhafte Folgen. Implantierte Drähte können auch den Weg für Infektionen bahnen, und diese sind im Gehirn besonders schwer zu bekämpfen. Daher ist beim Menschen die Implantation solcher Drähte allein zur Erforschung von Spiegelneuronen auf keinen Fall zu rechtfertigen.
So mussten wir bei der Erforschung des menschlichen Spiegelsystems zweigleisig vorgehen, indem wir einerseits heranzogen, was wir über das Spiegelsystem bei Affen wussten, und andererseits mit nicht-invasiven Methoden arbeiteten. Häufig verwendet man Gehirnscans – Neuroimaging oder bildgebende Verfahren –, um Daten über die Spiegelneuronen des Menschen zu sammeln. Statt eine erschöpfende Liste aller über das menschliche Spiegelsystem vorliegenden Daten zusammenzustellen, möchte ich auf zwei Beispiele eingehen, die zeigen, wie das auditive Spiegelsystem beim Menschen untersucht werden kann. II
Magnetisierung des Spiegelsystems
Los Angeles 2002, Ahmanson Lovelace Brain Mapping Center, University of California. Ich folge dem Bericht, den ich später von Lisa Aziz-Zadeh erhielt: Sie steht neben Peter, der bequem in einem Sessel mit Kopfstütze sitzt. Kabel laufen von seinen Händen zu einem Computer in einem Nebenraum. Sie sind an kleine, kreisförmige Elektroden angeschlossen, die auf dem Muskel zwischen Daumen und Zeigefinger sitzen und die Aktivität dieses Muskels messen. »Versuchen Sie, sich zu entspannen«, sagt Lisa zu ihm, aber ihr Lächeln zeigt, dass sie weiß, wie schwierig es ist, sich in einem Labor zu entspannen, währen sie ihm eine außerirdisch aussehende, schmetterlingsförmige Vorrichtung dicht über den Kopf hält. III
Der »Schmetterling« ist eine Spule, durch die ein plötzlicher Strom geschickt werden kann, um ein fokussiertes transientes Magnetfeld zu erzeugen, welches das Gehirn stimuliert. »Tock!« Von der Spule ist ein leiser, mechanischer Laut zu hören, der anzeigt, dass das Magnetfeld gerade angelegt wurde. Nichts geschieht. Der Bildschirm mit den Messdaten zur Muskelaktivität von Peters Hand zeigt eine flache Linie. Lisa bewegt die Spule nach hinten. »Tock!« Jetzt zuckt einer von Peters Fingern, und die Kurve auf dem Computer zeigt kleine Spitzen. Lisa befestigt die Spule an einer Halterung. »So, jetzt lauschen Sie
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