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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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grundlegenden menschlichen Fähigkeit ausgewirkt: Lernen durch Beobachtung. Als Kinder lernen wir viel, indem wir beobachten, was unsere Eltern und Freunde tun. Neugeborene haben in der ersten Lebenswoche eine angeborene Tendenz, die eigene Zunge herauszustrecken, wenn sie ihre Eltern dabei beobachten. 22 Diese Nachahmung ist nicht vollkommen. Möglicherweise streckt Ihr Kind seine Zunge nicht jedes Mal heraus, wenn Sie es tun, doch wenn Sie es oft genug wiederholen, wird das Kind seine Zunge häufiger zeigen, als wenn Sie etwas anderes täten. Babys lallen und beginnen später die Laute nachzuahmen, die ihre Eltern hervorbringen. Noch später spielen sie in Nachahmung ihrer Eltern mit Staubsaugern und Hämmern.
    Unsere modernen Kulturen, in denen wir schreiben, sprechen, lesen, Raumschiffe bauen und zur Schule gehen, können nur funktionieren, weil wir nicht auf das Verhalten eingeschränkt sind, mit dem wir geboren werden oder das wir durch Versuch und Irrtum lernen. Vieles können wir lernen, indem wir andere beobachten. Diese erstaunliche Fähigkeit, Fertigkeiten und Wissen rasch von anderen Menschen zu übernehmen, bezeichnen wir als kulturelle Übertragung. In der Steinzeitkultur musste man beispielsweise lernen, aus einem Stein eine Klinge zu formen. Untersuchungen von Steinklingen aus dieser Zeit offenbaren, dass sie nach relativ festgelegten Verfahren gefertigt wurden, die im Laufe von Jahrtausenden langsam vervollkommnet wurden – ein untrügliches Zeichen für kulturelle Übertragung. Unsere gegenwärtige Lebensweise hängt in sehr hohem Maße von dieser Übertragungsform ab. Wenn wir in einem neuen Beruf arbeiteten, erlernen wir häufig ein ganzes Bündel von Fertigkeiten, indem wir erfahrene Kollegen dabei beobachten. Ohne die Fähigkeit, durch Beobachtung zu lernen, hätte sich unsere moderne Welt nie entwickelt. Ohne sie würde jede Neuerung nur ihrem Erfinder dienen und mit ihm sterben.
    Obwohl wir alle die Fähigkeit, von anderen Menschen zu lernen, schon vor der Entdeckung der Spiegelneuronen als selbstverständlich hinnahmen, zerbrachen sich Forscher den Kopf darüber, wie das Gehirn diese Leistung vollbringt. Noch erstaunlicher ist, dass man sich dabei auf die sogenannte »echte Nachahmung« (true imitation) konzentrierte. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg versuchen Wissenschaftler wirklich herauszufinden, wie Tiere lernen. William Thorpe, Dozent an der Cambridge University, war einer der Gründungsväter dieser neuen Disziplin. Doch nach seiner einflussreichen Definition ist echte Nachahmung »die Kopie einer neuen oder in anderer Weise unwahrscheinlichen Handlung«. 23 Wenn ein Spion jemand anderem über die Schulter blickt, während dieser ein Passwort eintippt, um sich damit später Zugang zu einem Computer zu verschaffen, ist das keine echte Nachahmung, weil unser Spion ja schon früher Passwörter eingetippt hat und die Handlung daher nicht neu für ihn ist. Wenn ich dagegen einem Kind zeige, wie man lustige Grimassen schneidet, indem ich mit meinen Händen eine Pilotenbrille forme und sie mit einer komischen Bewegung über den Kopf stülpe, ist die Kopie dieser Bewegungen echte Nachahmung, weil die Handlung selbst neu und unwahrscheinlich ist. Nach dieser strengen Definition Belege für Nachahmung bei Tieren zu finden, ist schwierig, wenn auch wahrscheinlich nicht unmöglich.
    Mit der Entdeckung der Spiegelneuronen eröffnete sich für die Frage, wie Menschen eine Verhaltensweise lernen, indem sie andere bei einer ähnlichen Handlung beobachten, ein konkreter Ansatzpunkt. Spiegelneuronen aktivieren bei uns die für die Verrichtung einer Tätigkeit verantwortlichen Strukturen, während wir jemanden eine ähnliche Handlung ausführen sehen. Das ist für die Reproduktion der Handlungen anderer natürlich besonders wichtig. 6 Die Erkenntnis, dass das Spiegelsystem zielorientiert ist, legt allerdings den noch wichtigeren Gedanken nahe, dass wir beim Beobachten weniger die beliebigen Einzelheiten lernen, dank deren der Vorführende sein Ziel erreicht, als vielmehr das, was er erreicht oder zu erreichen versucht hat. Schon kleine Kinder verhalten sich rational bei der Reproduktion einer Handlung. Wenn Sie beide Hände voll haben und einen Knopf mit dem Kopf drücken, betätigen ihn die Kinder mit der Hand und verhalten sich damit gemäß der Tendenz, die das Spiegelsystem vorhersagt. Zwar können streng kongruente Spiegelneuronen etwas genauer beschreiben, wie die Tätigkeit verrichtet wird, doch

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