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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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die weniger spezifischen, allgemein kongruenten Spiegelneuronen, die zielorientiert arbeiten, sind rund doppelt so häufig wie die streng kongruenten Spiegelneuronen, 24 woraus folgt, dass Ziele die dominanten Variablen im Spiegelsystem sind.
    Thorpes Definition folgend, konzentrierten sich viele Primatologen bei der Suche nach evolutionären Vorläufern der kulturellen Übertragung auf echte Nachahmung bei Tieren. Im Allgemeinen lassen Affen keine schlüssigen Beweise für solche Nachahmung erkennen. Eine Zeit lang glaubte man, dieser Umstand stünde im Gegensatz zum Vorkommen von Spiegelneuronen bei solchen Tieren, doch diese Annahme scheint auf einem Missverständnis der Funktion von Spiegelneuronen zu beruhen. Spiegelneuronen sagen vorher, dass Affen fähig sein müssten, durch Beobachten zu lernen, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass sie die Einzelheiten des Verhaltens reproduzieren, durch die das Ziel erreicht wurde.
    Francys Subiaul und seine Kollegen vom Fachbereich Anthropologie der Columbia University untersuchten an Affen das Lernen durch Beobachtung in einem einfacheren Sinn. 25 Sie platzierten zwei Affen nebeneinander, jeden vor einen eigenen Touchscreen-Computer. Der Rechner zeigte den Affen vier Bilder irgendwo auf dem Bildschirm. Wenn die Tiere die Bilder in der richtigen Reihenfolge berührten, bekamen sie etwas Fruchtsaft. Zunächst aber mussten sie die richtige Reihenfolge herausfinden. Unter der Bedingung von Versuch und Irrtum musste jeder Affe die korrekte Sequenz selbst entdecken. Unter der Bedingung von sozialem Lernen konnte einer der Affen einen erfahreneren Affen bei der Ausführung der richtigen Sequenz beobachten. Wie sich erwies, brauchte ein Affe auf sich allein gestellt rund zwanzig Versuche, um eine Bildgruppe in die richtige Reihenfolge zu bringen, nach Beobachtung eines anderen, die Aufgabe korrekt erledigenden Affen jedoch nur noch fünfzehn Versuche. Der Affe lernte etwas, indem er einfach das Verhalten des anderen Affens beobachtete.
    Die Spiegelneuronen tragen zur Bewältigung solcher Aufgaben bei, weil sie eine bestimmte Sequenz wohlbekannter Handlungen im Gehirn des beobachtenden Affen aktivieren. Um die Sequenz zu lernen, sind neben diesen Spiegelneuronen noch Systeme vonnöten, die sich an die Reihenfolge der einzelnen Akte erinnern – auch das eine Fähigkeit, die Menschen weit besser meistern als Affen. Nach Beobachtung eines kundigen Demonstrators würden Menschen weit weniger als fünfzehn Versuche brauchen. Beide Spezies empfinden die beobachteten Handlungen instinktiv mit, doch Menschen dürften das Gesehene besser und genauer erinnern als Affen.
    Doch selbst bei Affen konnten Leonardo Fogassi und seine Forschungsgruppe in Parma zeigen, dass manche Spiegelneuronen auf die Handlungssequenzen ansprechen, in die sie eingebettet sind. Einige Neuronen, die bei der Ausführung und Beobachtung von Greifbewegungen aktiviert werden, reagierten stärker, wenn die Greifbewegung in eine Sequenz Greifen-um-zu-essen integriert war, während andere größere Aktivität bei Greifbewegungen in einer Sequenz Greifen-um-zu-stellen zeigten. Diese Empfänglichkeit für die übergeordnete Handlungssequenz könnte ein wichtiger Baustein für das Lernen durch Beobachtung sein. Sie ermöglicht dem Beobachter nicht nur, neue Fertigkeiten zu erwerben, sondern auch, vertraute Handlungen zu neuen, flüssigen Sequenzen zu organisieren.
    Ein neuronales Substrat für Intuition
    Philosophen wie Descartes haben uns gesagt, dass der Geist eines anderen Menschen eine unsichtbare, verborgene und undurchdringliche Entität sei. Doch nach volkstümlicher Auffassung gibt es neben der logischen Erkenntnis noch andere Möglichkeiten, in Erfahrung zu bringen, was im Geist anderer vor sich geht. Lange Zeit galten Begriffe wie »(weibliche) Intuition«, in denen zum Ausdruck kam, dass man sich auf den Geist anderer Menschen »einstimmen« könne, als abergläubischer Unsinn, der überhaupt nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun hatte. Doch die Entdeckung der Spiegelneuronen hat dazu geführt, dass wir heute die Beziehung zwischen Individuen anders wahrnehmen. Während wir die Handlungen anderer wahrnehmen, reagiert unser prämotorischer Kortex, als nähmen wir die Handlungen selbst vor. Das Spiegelsystem bildet eine Brücke zwischen dem Bewusstsein zweier Menschen und führt uns vor Augen, dass unsere Gehirne zutiefst sozial sind.
    In unseren f MRT -Experimenten wurden die Teilnehmer nicht ausdrücklich

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