Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
nicht mit echter Gesichtsimitation zu verwechseln ist. Andere Formen der Gesichtsimitation hängen wahrscheinlich von anderen Mechanismen ab, die durchaus mit Hebb’schem Lernen zu tun haben könnten.
Es gibt drei Mechanismen, mittels deren die Emotionen des Säuglings auf Hebb’sche Weise mit dem Anblick besonderer Gesichtsausdrücke anderer Menschen verknüpft werden können.
Erstens, die Vielzahl von Spiegeln oder anderen spiegelnden Oberflächen, die es in unserer Umwelt gibt, verschaffen uns die Möglichkeit, uns beim Grimassieren oder beim Ausdruck echter Emotionen zu beobachten. Solche Spiegel bieten ideale Voraussetzungen für Hebb’sches Lernen, weil wir ein absolut synchrones Feedback erhalten. Dabei kommt es zur Verknüpfung der den Anblick eines Gesichtsausdrucks repräsentierenden Neuronen sowohl mit den motorischen Programmen zur Erzeugung des Ausdrucks als auch den somatosensorischen Konsequenzen – was für eine Empfindung es ist, das Gesicht in dieser Weise zu bewegen. Zwar dürften spiegelnde Objekte eine Rolle für die Entwicklung von Kindern in modernen Gesellschaften spielen, doch es ist unwahrscheinlich, dass sie eine notwendige Bedingung für die Entwicklung gemeinsamer Schaltkreise der Gesichtsausdrücke sind. Menschen, die in Gesellschaften mit sehr begrenztem Zugang zu Spiegeln aufwachsen, sind in ihrer Fähigkeit, Gesichtsausdrücke zu erkennen, nicht eingeschränkt. 88
Zweitens, die Neigung von Eltern, die Gesichtsausdrücke ihres Säuglings nachzuahmen, ermöglicht diesem, sich auf den imitierten Gesichtsausdruck zu konzentrieren. Obwohl dieses Verhalten die Eltern manchmal etwas lächerlich aussehen lässt, ist es für das Kind sehr wichtig, denn die Erwachsenen übernehmen dabei im Wesentlichen die Funktion eines Spiegels und bieten dem Kind die Möglichkeit, ein Spiegelsystem für Gesichtsausdrücke zu entwickeln. Während das Kind echte Gefühle wie Glück, Traurigkeit, Ekel oder Schmerz empfindet, ahmen die Eltern mit ihren Gesichtsausdrücken nicht nur den des Kindes nach, sondern empfinden den Zustand des Kindes auch empathisch mit, indem sie lächeln, wenn das Kind glücklich ist, und ein sorgenvolles Gesicht machen, wenn es weint. Auf diese Weise werden gemeinsame Schaltkreise für Gesichtsausdrücke im Rahmen eines intergenerationellen Vertrags von den Eltern auf das Kind übertragen. Das Kind entwickelt einen gemeinsamen Schaltkreis für Gesichtsausdrücke, weil die Eltern seine Gesichtsausdrücke nachahmen. Und wenn das Kind selbst Mutter oder Vater wird, gibt es diese Fähigkeit an das eigene Kind weiter.
Gleiches gilt für die Augenbewegungen. Augen sind ein sozialer Hinweisreiz von außerordentlicher Bedeutung. Wenn wir Menschen in die Augen blicken, wissen wir, wohin sie ihre Aufmerksamkeit richten, und können so erraten, woran sie denken. Allerdings sehen wir nicht unsere eigenen Augenbewegungen, während wir sie ausführen. Darin liegt eine weitere Schwierig keit des Hebb’schen Erklärungsmusters. Blickverfolgung ist die natürliche Neigung, dorthin zu sehen, wo unser Gegenüber hinschaut. Wenn Sie mit jemandem sprechen und er plötzlich nach rechts starrt, werden Sie sehr wahrscheinlich in dieselbe Richtung blicken, um herauszufinden, wohin er schaut. Sieht ein Säugling in eine bestimmte Richtung, folgen die Eltern seinem Blick. Wenn das Kind wieder seine Eltern anblickt, sieht es, dass seine Augenbewegung gleichzeitig mit einer Veränderung in der Augenstellung seiner Eltern stattfand. Derartige Bewegungsfolgen helfen dem Kind, Veränderungen der eigenen Aufmerksamkeitsausrichtung mit einer veränderten Stellung der farbigen Iris in der weißen Lederhaut seiner Eltern zu verbinden.
Es ließe sich einwenden, dass Eltern zwar den Gesichtsausdruck ihres Säuglings ziemlich häufig nachahmen, aber durchaus nicht immer, was zu falschen Hebb’schen Verknüpfungen führen könnte. Es gibt jedoch Gründe für die Annahme, dass es nicht zu dieser falschen Verknüpfung kommt. Reizen, die zeitlich parallel zu ihrem eigenen Verhalten auftreten, schenken Säuglinge größere Aufmerksamkeit, 89, XIII das heißt, sie achten mehr auf die Fälle, in denen das Gesicht des Erwachsenen auf ihr eigenes reagiert. Dadurch verringert sich der Einfluss von Situationen, in denen es keine Kausalbeziehung zwischen dem Gesichtsausdruck des Kindes und dem des Erwachsenen gibt. Außerdem tritt während der Nachahmung der Anblick des übereinstimmenden Gesichtsausdrucks sehr viel
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