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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Lächeln assoziiert sind. Doch wenn wir die Mundwinkel absichtlich hochziehen, werden sich auch prämotorische Neuronen mit diesen somatosensorischen Neuronen verbinden. Damit sind die willkürlichen und die emotionalen motorischen Programme über die somatosensorischen Programme miteinander verknüpft. Alle drei sind, wie oben beschrieben, durch den Anblick ähnlicher Gesichtsausdrücke und die Erfahrung ähnlicher zugrunde liegender Gefühle miteinander verbunden. Dieses Geflecht vielfältiger Assoziationen ist wahrscheinlich der Grund, warum wir intuitiv fühlen, was in den Menschen um uns her vor sich geht und warum wir wissen, was für ein Gesicht wir machen, auch ohne in den Spiegel zu schauen.
    Das Spiegelsystem verändert sich im Laufe des Lebens
    Die besondere Leistungsfähigkeit einer Hebb’schen Erklärung der gemeinsamen Schaltkreise liegt in der ihr eigenen Plastizität. Würden die gemeinsamen Schaltkreise ausschließlich auf angeborenen Mechanismen beruhen, wäre ihr Geltungsbereich eingeschränkt: Wir könnten nur die Aspekte des Lebens anderer Menschen mitempfinden, die während unserer stammesgeschichtlichen Entwicklung eine Rolle gespielt haben. Doch unsere moderne Welt befindet sich in raschem Wandel, daher muss unser Verständnis für das Verhalten anderer mit dieser Veränderungsrate Schritt halten. Wir haben bereits gesehen, dass Säuglinge lernen können, den Akt des Greifens zu verstehen, wenn sie ihn vier Minuten lang erlebt haben, doch es gibt auch im Erwachsenenleben viele Beispiele für solche Plastizität. Wenn wir einen Klingelton hören, wenn wir dann sehen, wie jemand sein Handy aufklappt, auf das Display blickt und glücklich aussieht, nehmen wir an, er habe eine erfreuliche Textnachricht erhalten. Es ist schwer vorstellbar, dass uns die Evolution darauf vorbereitet hat, uns empathisch in die Wirkung von Mobiltelefonen hineinzudenken.
    Das Klavierspiel ist ein eingehend untersuchtes Beispiel für die Plastizität des Spiegelsystems. 91 Die Neurowissenschaftlerin Amir Lahav und ihre Kollegen von der Harvard University warben für ein Experiment Teilnehmer ohne musikalische Vorbildung an, die noch nie Klavier gespielt hatten. Dann brachten sie ihnen bei, ein bestimmtes Klavierstück zu spielen. Die Teilnehmer brauchten am ersten Übungstag rund eine halbe Stunde, um das Stück korrekt zu spielen, und die Übungen wurden an fünf aufeinander folgenden Tagen fortgesetzt. Außerdem hörten sich die Versuchspersonen zwei weitere Klavierstücke an, die entweder aus denselben Tönen in veränderter Reihenfolge komponiert waren oder aus vollkommen neuen Tönen. Am fünften Tag wurden die Teilnehmer gescannt, während sie Passagen aus den drei Stücken lauschten. Zwar erregten alle drei Stücke auditive Hirnregionen, doch nur das erlernte Stück aktivierte durchgehend die prämotorischen »Spiegel«-Regionen. Diese glichen den Arealen, die auch bei der Ausführung und dem Geräusch von Handlungen aktiv sind. 9, 38
    Eindrucksvoll stellt dieses Experiment unter Beweis, dass fünf Übungstage, in denen Fingerbewegungen mit Klaviertönen verknüpft werden, Hebb’sche Assoziationen zwischen auditiven Hirnregionen, die den Klang von Klaviermusik repräsentieren, und prämotorischen Regionen, die die motorischen Programme für Sequenzen von Fingerbewegungen encodieren, schaffen. Diese extreme Flexibilität stattet unsere gemeinsamen Schaltkreise mit der Fähigkeit aus, sich rasch an die Erfordernisse unserer in ständigem Wandel begriffenen Umwelt anzupassen.
    Warum Spiegelneuronen nicht überall im Gehirn sein können
    Wenn Hebb’sches Lernen zwischen zwei Neuronen stattfinden soll, müssen sie wiederholt zusammen feuern und von Beginn an zumindest schwach verbunden sein. Diese beiden Bedingungen schränken die Hirnregionen ein, in denen Spiegelneuronen auftreten können. Wenn ich zwei Neuronen habe, von denen eines die Ausführung der Greifbewegung repräsentiert und das andere den Anblick des Greifens, unabhängig von der Perspektive, werden diese beiden Neuronen fast immer zusammen feuern, während wir unsere eigenen Handlungen beobachten. Hebb’sches Lernen ist sehr einfach.
    Wenn wir andererseits zwei verschiedene Neuronen betrachten – ein Motoneuron im primär motorischen Kortex, das reagiert, wenn ein bestimmter Schultermuskel verwendet wird, und ein visuelles Neuron in der primären Sehrinde, das aktiviert wird, wenn eine senkrechte Linie an einer bestimmten Stelle des Auges erscheint

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