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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Laute sehen kann? Babys schauen Erwachsenen gerne und oft ins Gesicht, besonders wenn diese sprechen. Das Hören der Laute, welche die Eltern beim Vokalisieren erzeugen, fällt zeitlich mit dem Anblick ihrer Mund-, Lippen- und Kehlkopfbewegungen zusammen, daher könnte es in sensorischen Arealen, die sowohl auditiven als auch visuellen Input aufnehmen, zu Hebb’scher Assoziation kommen. Tatsächlich ist, wie oben erwähnt, schon bei Affen zu beobachten, dass Neuronen in der Region des Temporallappens, die ich als »Sehrinde« bezeichnet habe, auditive und visuelle Reaktionen auf Vokalisationen kombinieren. 82 Daher ist es wahrscheinlich, dass das Kind beim Lallen auditive Repräsentationen mit motorischen Repräsentationen von Sprachlauten verknüpft und dass es, wenn es die Gesichter anderer beobachte, die visuelle Repräsentation bestimmter Mundbewegungen mit den dabei entstehenden Lauten assoziiert. Durch diese doppelte Assoziation aktiviert der Anblick einer sprechenden Person audio-visuelle Repräsentationen im Temporallappen, die ihrerseits entsprechende motorische Programme auslösen. XII In diesem Fall ist nicht ein Hebb’scher Lernprozess, sondern es sind zwei erforderlich, aber das Prinzip bleibt dasselbe.
    Meine Empfindungen mit deinen verknüpfen
    Gemeinsame Schaltkreise für Sinneswahrnehmungen sind ein weiteres Beispiel dafür, wie das neuronale Substrat der Empathie durch Hebb’sches Lernen angelegt werden kann. Jedes Mal, wenn wir sehen, wie ein Objekt sich unserem Körper nähert und ihn berührt, finden die taktile und die visuelle Wahrnehmung gleichzeitig statt, was die Neuronen, die den Anblick der Berührung repräsentieren, dazu veranlasst, ihre Verbindungen mit den Neuronen, die das Berührungserlebnis repräsentieren, zu verstärken. Solche Vernetzung könnte für den Experimentalbefund verantwortlich sein, nach dem der Anblick von Berührung somatosensorische Gehirnareale aktiviert, 83 selbst wenn die Berührung nicht den eigenen Körper des Versuchsteilnehmers betrifft. Teilnehmer, die stärkere Hebb’sche Assoziationen zwischen Berührungsanblick und Berührungserlebnis knüpfen, hätten demnach stärkere somatosensorische Aktivierungen, die möglicherweise zu Extremfällen führen könnten, wie wir oben bei Deanna gesehen haben: Sie wusste nicht, ob die Beobachtung real oder nur beobachtet war. 84
    Ein interessantes Phänomen – die sogenannte »Gummihand-Täuschung« – veranschaulicht, wie rasch sich neue visuell-taktile Assoziationen herstellen lassen. 85 Nehmen Sie ein Paar Handschuhe, ziehen Sie den rechten über Ihre rechte Hand, und legen Sie den linken neben Ihre rechte Hand auf den Tisch. Nun halten Sie die linke Hand unter den Tisch, genau unter den leeren Handschuh. Die meisten Menschen fühlen in dieser Situation deutlich, dass sich ihre linke Hand unter dem Tisch befindet, nicht in dem leeren Handschuh. Bitten Sie nun einen Freund um Hilfe. Lassen Sie ihn zunächst auf den leeren Handschuh und gleichzeitig auf Ihre linke Hand unter den Tisch klopfen und nach dreißig Sekunden innehalten. Haben Sie jetzt das seltsame Empfinden, der Handschuh sei ein Teil Ihres Körpers? Wenn Ihr Freund nun aber zeitlich versetzt verfährt – Ihre Hand und den Handschuh zu verschiedenen Zeiten, nicht synchron, berührt –, stellt sich der Effekt nicht mehr ein, was die Grundvoraussetzung des Hebb’schen Lernens beweist: Gleichzeitigkeit führt zu Assoziationen oder Verknüpfungen.
    Warum Eltern den Gesichtsausdruck ihres Babys nachahmen
    Haben Sie sich jemals gefragt, warum Eltern so häufig den Gesichtsausdruck ihrer Babys nachahmen? Emotionale Gesichtsausdrücke sind nicht leicht mit der Hebb’schen Theorie der gemeinsamen Schaltkreise zu erklären, da wir unseren Gesichtsausdruck bei Gefühlserlebnissen im Allgemeinen nicht sehen.
    Ende der siebziger Jahre zeigten Meltzhoff und Moore, dass Neugeborene die Zunge herausstrecken, wenn sie sehen, dass Erwachsene die ihre herausstrecken, 22, 86 was man ursprünglich als Beweis für eine angeborene Fähigkeit zur Gesichtsimitation wertete, woraus folgen würde, dass die Hebb’schen Überlegungen nicht auf Gesichtsausdrücke anzuwenden sind. Neuere Studien haben gezeigt, dass das Herausstrecken der Zunge offenbar die einzige Bewegung ist, die von Neugeborenen augenblicklich nachgeahmt wird. 87 Daher gilt die Nachahmung des Zungeherausstreckens heute als ein sehr spezieller Fall, der auf einem besonderen angeborenen Mechanismus beruht und

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