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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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ihrer Schuld. »Dass ich Schuld hatte, habe ich akzeptiert, ich, nicht nur er. Ich hatte ja zugelassen, dass wir intim zusammen waren. Aber dass sie mich geschlagen haben, das weiß ich nicht. Ich weiß es nur bis zu meiner Schuld, alles andere ist weg.«
    Was nach der Schuld kam, setzt sie sich mühsam aus den Berichten der anderen zusammen. Drei Zeugen erzählen ihr davon. Eva Schaak ist die Erste; sie weiß auch von der Zwangsabtreibung in Heide. Und sie nennt andere. Zu einem von ihnen, Johannes Bechtloff, der sich 1961 von der möglichen Privaten Socialen Mission trennte und seither in Hamburg lebt, nehmen Gudrun und Wolfgang 2007 in Deutschland Kontakt auf.
    Bechtloff freut sich spontan über ihren Anruf und darüber, dass sie frei sind. Als sie sich treffen, erzählt er den beiden, wie es damals war. Dass er dabei sein und zusehen musste, wie sie Gudrun mit Kabelenden zusammenschlugen. Nicht er schlug, aber Gerhard Mücke. Und der Mücke soll sich umgedreht und gefragt haben: »Will denn keiner außer mir?«
    Aber keiner wollte.
    »Und wofür das alles?«, fragt Johannes Bechtloff, und man hat das Gefühl, er fragt sich selbst. »Für das Natürlichste von der Welt«, antwortet er, »zwei junge Leute, die sich liebhaben.« Er schüttelt den Kopf – ob über die Strafaktion oder über den jungen Bechtloff von damals, bleibt offen.
    Johannes Bechtloff, Hauslehrer und Erzieher in der Privaten Socialen Mission, erzählt zögernd, was er, der so begeistert zu Schäfer übergelaufen war, dort an brutalen Praktiken erlebte. Noch nach fünfzig Jahren ist er nicht mit sich im Reinen, hadert immer noch mit sich, weil er Schäfer nicht früher durchschaut hat. Weil er als gebildeter, erfahrener Mann und als Familienvater, als Prediger einer Baptistengemeinde auf diesen gefährlichen Betrüger hereinfiel. »Ich verstehe mich selbst nicht mehr.« Diesen Satz hater sicher schon oft gesagt. Gudrun ist ihm dankbar, dass er ihr ein Stück ihrer Erinnerung zurückgegeben hat.
    So erfährt sie, dass sie schon in Deutschland gefoltert wurde. Dass sie in Chile mehrere Fluchtversuche machte, nicht nur einen. Einmal sei sie bis zur österreichischen Botschaft in Santiago de Chile gekommen, sagt man ihr. Zerlumpt und verdreckt sei sie dort aufgetaucht, aber sie habe die ganzen dreihundert Kilometer bewältigt. Den Pass immer bei sich. Das alles weiß sie jedoch nicht aus eigener Erinnerung und könnte es vor keinem Gericht beschwören. Diese Stellen in ihrem Gedächtnis sind weiße Flecken, zugedeckt womöglich. Vielleicht aber auch für immer gelöscht durch Elektroschocks, Psychopharmaka und monatelange Isolation im Neukra.
    Das alles weiß Gudrun nur, weil es Menschen gibt, die ihr endlich die Wahrheit sagen.
    Jetzt erst erfährt sie, dass in der Kolonie Waffen hergestellt wurden. Viele Waffen. Und dass ihr Mann, ihr Wolfgang, von der DINA in Kampftechniken ausgebildet wurde und zurecht den braunen Gürtel im Karate tragen würde, wenn Schäfer es zugelassen hätte. Und dass Wolfgang Maschinenpistolen zusammengebaut hat. »Wir haben die israelischen nachgebaut«, sagt er, »die waren gut.«
    Inzwischen kennt Gudrun auch den Bericht von Paul Schäfers Schulfreund Willi Georg, den dieser 1966 nach seiner Trennung von der Gruppe und nach seiner Auswanderung nach Australien verfasste. Auch Willi Georg bezeugt die schweren Misshandlungen, die Gudrun erleiden musste.
    Gudruns Geschwister, die vierzig Jahre in der Kolonie lebten, erzählen ihr, in welcher Verfassung sie nach ihrer Flucht bis zur österreichischen Botschaft in Santiago de Chile wieder in die Kolonie zurückgebracht wurde: zerlumpt, verdreckt, kaum bei Sinnen. Sie haben es mit eigenen Augen gesehen. Sie wissen auch, dass Gudrun über Monate hinweg im Krankenhaus isoliert gehalten, versenkt wurde. Einmal mussten sie ihre Schwester auf Schäfers Geheiß dort besuchen, um sich davon zu überzeugen, dassdiese verrückt geworden war. Sie erlebten eine Frau, die nicht sprechen konnte, nur lallte, deren aufgeschwemmtes Gesicht sie kaum wiedererkannten. Aber dass sie verrückt war, glaubten sie nicht. Doch bevor Schäfer gebannt war, fanden die Geschwister keine Möglichkeit, miteinander darüber zu sprechen.
    Als Nächstes versucht Gudrun, die Erinnerungen an ihren Fluchtversuch zurückzuerlangen. Diese dreihundert Kilometer Flucht will sie wieder in Besitz nehmen, denn sie sind ihr Erfolg, ihr Triumph über die Gefängniswärter. Wie konnte sie das schaffen? Etwas, was nur

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