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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
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dass dieser
Abschnitt unseres Lebens ein schwerer Kampf sein würde — aber ich versprach
ihm, dass wir ihn zusammen irgendwie durchstehen würden.
    Ehe der September vorüber war, hatte
Joshua die Worte »Udi« und »Dad« aus seinem Wortschatz gestrichen. Ich machte
mir Sorgen, dass es sich hier um eine Disassoziation von dem Geschehenen
handelte (man kann nicht jahrelang mit einem Psychotherapeuten zusammenleben,
ohne dass man sich seinen Jargon aneignet), und nachdem ich ein Buch über
trauernde Kinder gelesen hatte, nahm ich das Bild von Udi vom Kaminsims und
versuchte, mit Joshua darüber zu sprechen.
    »Ist das nicht ein nettes Bild von
Daddy?«, fing ich mit meiner ruhigsten Stimme an. Aber noch ehe ich weiterreden
konnte, fixierte mein Sohn mich mit einem kalten Blick und sagte: »Du willst,
dass ich darüber rede, stimmt’s?«
    Mir verschlug es die Sprache. War mein
Sohn so klug, oder war das, was ich tat, so offensichtlich? »Nein! Na ja... Ja...
Ich denke, eigentlich schon«, gab ich zu, wobei ich errötete, als sei ich mit
der Hand in der Ladenkasse ertappt worden. »Aber weißt du, ich möchte auch gern
über Udi sprechen.«
    Joshua stand auf, und mit einem
nachdrücklichen »Aber ich nicht!« verließ er das Zimmer.
    Ich war überrumpelt worden von einem
Kind, dessen instinktives Verständnis für Psychotherapie offenbar genauso gut
war wie das seines Vaters, und ganz offenbar besser als das meine. In dem
Moment beschloss ich, dass Joshua seine Trauer auf seine Art und in seinem Tempo
bewältigen müsse, egal was die Fachleute sagten. Ich versicherte ihm, dass ich
für ihn da sei, falls er über Udi sprechen wollte, aber sonst ließ ich ihn in
Ruhe.
    Joshua tat mir leid, und ich fühlte
mich so hilflos ihm gegenüber. In seinem Alter (er war gerade neun geworden)
konnte er die Endgültigkeit des Todes noch nicht begreifen. Ich selbst kam ja
kaum damit zurecht, und ich war Mitte vierzig. Dennoch wusste er, dass unser
Leben sich radikal verändert hatte, und zwar überwiegend in negativer Hinsicht.
Als Vater hatte Udi mit seiner optimistischen und tollkühnen Natur zu fast
jedem Wunsch, jeder neuen Idee Ja gesagt, während ich, trotz meines kurzen
Abenteuers als Paraskier, die bei weitem zögerlichere Hälfte unseres Duos war
und eher dazu neigte, Nein zu sagen.
    Jetzt existierte dieser Mensch nicht
mehr, der in Joshuas Leben für Spontaneität und Spaß gesorgt hatte. Mein Sohn
war plötzlich auf mich angewiesen, seine ruhigere, meist besorgte Mutter, mit
der er eine Wohnung teilte, die nun halb leer schien — aus dem einfachen Grund,
dass sie buchstäblich halb leer war. Udi war eine große Persönlichkeit gewesen.
Jetzt, wo er nicht mehr da war, hallte die Stille in allen Räumen wider, auch
wenn wir zu Hause waren. Das Kopfkissen auf Udis Seite unseres Kingsize-Doppelbetts
war aufgeschüttelt und schrie geradezu danach, dass jemand darauf schlief. Der
Küchentisch war nicht mehr mit seinem Kram übersät, es gab keine Hemden, die
gebügelt werden mussten, und das Telefon war fast völlig verstummt. Wenn wir
früher einkaufen gingen, war alles nach wenigen Tagen aufgegessen, jetzt
reichte es über eine Woche, und wenn ich bei Sainsbury oder Waitrose meinen
Einkaufswagen durch die Gänge schob, musste ich jedes Mal unweigerlich heulen.
Da ich immer noch nicht gelernt hatte, nur für zwei einzukaufen, war unser
Kühlschrank stets voll von Zeug, das leise vor sich hin schimmelte.
    Als die Uhren am letzten Sonntag im
Oktober zurückgestellt wurden, erschien mir das Haus noch einsamer. Wenn ich
nach draußen in die Dunkelheit sah, obwohl es erst fünf Uhr war, war es mir
immer, als würde ich mit einem Ruck an die Realität erinnert. Die frühe
Dunkelheit schien die Tatsache noch zu unterstreichen, dass Joshua und ich
jetzt zusammen hier hausten, nur wir zwei, ganz allein. Wir saßen uns gegenüber
am Küchentisch und aßen Hähnchen mit Pommes (ich brachte es immer noch nicht
fertig, mich auf Udis Stuhl am Kopfende des Tisches zu setzen), und das
Klappern des Bestecks auf den Tellern klang schrecklich laut. Ich glaube,
Joshua spürte genau wie ich, wie angestrengt unser heiteres Gespräch wirkte,
das in Gang zu halten ich mir alle Mühe gab.
    Plötzlich unterbrach er mich mit den
schicksalsschweren Worten: »Mama, ich glaube, wir sollten uns einen Hund
anschaffen.«
    »Einen Hund?« Ich war sprachlos. »Wie
kommst du darauf?«
    Joshua spießte Pommes auf die Gabel und
tunkte sie in Ketchup. »Tom hat

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