Unser Leben mit George
weiter verwunderlich.
Als ahnte er, dass er mich bereits
erobert hatte, wandte er sich jetzt Joshua zu. Er sprang auf seinen Schoß und
leckte die Reste von Mrs Colmans Schokoladenkuchen von seinem Kinn. »Iii!«,
sagte Joshua und drehte den Kopf weg, während er das strampelnde Hündchen noch
immer fest im Arm hielt. Da es George nicht gestattet war, Joshuas Gesicht zu
lecken, nahm er sich seinen Hals vor und wusch diesen so methodisch und gründlich,
wie es wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr geschehen war, seine Zunge
arbeitete wie ein kleiner rosa Waschlappen. Mein kitzliger Sohn quietschte vor
Lachen. Ein Ausdruck hellsten Entzückens lag auf seinem Gesicht.
Mrs Colman sah uns resigniert an. »Also,
wenn Sie ihn wirklich, wirklich haben möchten... Ich denke, ich könnte mich von
ihm trennen«, sagte sie. »Sie könnten ihn ja probeweise mitnehmen. Wenn Sie
nicht mit ihm zurechtkommen, bringen Sie ihn einfach nächste Woche zurück.«
Ich sah sie an, wie sie mit Tränen in
den Augen am Fuße der Treppe stand. Ich sah Joshua an, dessen bittendes Gesicht
so durchdringend war wie ein Scheinwerfer. Ich sah George an. Er war ein so
perfekter Hund, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Und dazu war er auch noch
stubenrein! Außerdem hatte seine Züchterin angeboten, ihn zurückzunehmen, wenn
wir mit ihm nicht zurechtkamen.
Ich wusste jedoch, wenn George mit uns
nach Hause kam, dann gab es kein Zurück. Nichts wäre grausamer, als ihn
mitzunehmen und Joshua eine Woche später wieder von ihm zu trennen. Hatte mein
Sohn in seinem Leben nicht gerade genügend Verluste erlitten?
Aber wollte ich wirklich auf lange
Sicht die Verantwortung für einen Hund übernehmen? Jetzt war es ein bisschen
spät, um darüber nachzudenken. Ich wünschte, Udi wäre da, um ihn zu fragen, was
ich machen sollte. Sein ganzes Leben lang war er ein Quell guter Ratschläge
gewesen — besonders wenn ich sie nicht brauchte — , aber jetzt, da ich seine
Meinung wirklich hören wollte, blieb er stumm. Ob es mir passte oder nicht, ich
war jetzt der einzige Erwachsene in der Lamilie, und ich allein musste die
Entscheidung treffen — eine Entscheidung, mit der es nicht nur um das Glück
meines Sohnes ging, sondern auch um die nächsten fünfzehn oder sechzehn Jahre
meines Lebens.
Sollte ich George nehmen oder nicht?
Es kam nur auf mich an.
Eine halbe Stunde später fuhr ich nach
London zurück, wobei ich nervös die letzten Bonbons aus dem Handschuhfach
lutschte und immer noch nicht wusste, ob ich die richtige Entscheidung getroffen
hatte.
Heimlich sah ich in den Rückspiegel.
Joshua war in seinem Sitz festgeschnallt und hörte Just William, genau
wie auf dem Hinweg.
Als ich an der nächsten Ampel halten
musste, drehte ich mich um. Unser neuestes Familienmitglied lag quer über Joshuas
Schoß und schlief ganz fest. Er schnarchte leise und sah aus wie der Inbegriff
der Zufriedenheit. Genau wie mein Sohn — zum ersten Mal seit dem Tod seines
Vaters.
6.
Kapitel
»Joshua« , sagte ich, nachdem wir am frühen
Abend angekommen waren und ich vor unserem Haus geparkt hatte, »ehe wir mit
George ins Haus gehen, möchte ich zwei Dinge klarstellen. Erstens: Er darf
nicht auf die Polstermöbel. Zweitens: Er darf nachts nicht, und ich wiederhole nicht, in unsere Schlafzimmer.«
Joshua nickte verschlafen. Im Moment
war er so glücklich, George im Arm zu haben, dass er alles versprochen hätte.
Später fiel mir ein, dass ich gleich noch ein paar weitere Regeln hätte hinzufügen
sollen — zum Beispiel, dass er in Zukunft jedes Legosteinchen aufzuheben habe,
das auf dem Boden liegen geblieben war, dass er niemals eine Erhöhung seines
Taschengeldes verlangen dürfe und dass er für mich sorgen müsse, wenn ich alt
bin.
Da ich heute früh bei der Abfahrt nicht
geahnt hatte, dass wir mit einem Hund nach Hause kommen würden, war ich genauso
unvorbereitet, als hätte ich ein Baby vor meiner Tür gefunden. Außer einem
Säckchen Hundefutter, das Mrs Colman mir fürs Erste mitgegeben hatte, hatte ich
keine von den absolut notwendigen Utensilien, die auf ihrer Liste standen — keinen
Transportkäfig, keine Futternäpfe aus Edelstahl, keinen Schlafkorb, keine
Kuscheldecke, keinen Erste-Hilfe-Kit und ganz bestimmt kein Rektalthermometer.
Da wir nicht einmal eine Hundeleine hatten, musste ich George aus dem Auto ins
Haus tragen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit graute
mir nicht davor, in ein dunkles Haus zu kommen. Ich war viel zu
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