Unser Leben mit George
dem Züchter glücklich gewesen«, sagte er.
»Vielleicht schien er sogar glücklich zu sein. Aber höchstwahrscheinlich
war er depressiv.«
Wie bitte? Depressiv, wo er auf der
Wiese in der Nähe von High Wycombe herumgerast war wie ein Statist in 101
Cavalier King Charles Spaniels? »Ach. Halten Sie das wirklich für möglich?«
Pete nickte ernst. »Bestimmt hat er die
menschliche Gesellschaft vermisst. Fragen Sie sich doch einmal, wie viel
Aufmerksamkeit er dort bekam, bei all den anderen Hunden, die er um sich
hatte?«
Ich musste zugeben, das war eine
Möglichkeit. Zu Hause hatte George den größten Teil jeden Tages die ungeteilte
Aufmerksamkeit zweier Menschen. Wir sprachen mit ihm, wir schmusten mit ihm,
wir retteten ihn vor Monster Mogs Krallen und Zähnen, und wir warfen Bällchen
für ihn in der vergeblichen Hoffnung, er würde irgendwann lernen,
hinterherzulaufen und sie zurückzubringen. Kurz, wir reagierten auf jedes
Schwanzwedeln und jedes Bellen von ihm. Bei dem Züchter hatte er lediglich
grenzenlose Freiheit und achtzehn andere Hunde, mit denen er spielen konnte — ach
ja, und außerdem Satellitenfernsehen und Super Nintendo.
Pete zuckte die Schultern über meine
neue Theorie: dass George einfach ungezogen war. »Wissen Sie«, sagte er, »es
gibt keine ungezogenen Hunde. Es gibt nur unverstandene Hunde. George hat zu
wenig Selbstachtung. Was er im Moment am dringendsten braucht, ist Bestätigung.
Loben Sie ihn für gutes Benehmen, und ignorieren Sie ihn, wenn er sich schlecht
benimmt.«
»Ja. Also gut. Aber was soll ich
machen, wenn er in Joshuas Zimmer pinkelt?«
»Ignorieren Sie es. Sagen Sie gar
nichts. Das Schlimmste, was Sie machen können, ist, ihn anzuschreien oder seine
Nase in die Pfütze zu stecken. Damit würden Sie nur seinem Wunsch nach
Aufmerksamkeit nachgeben. Ich schlage auch vor, dass Sie es erst dann
wegwischen, wenn er nicht mehr im Zimmer ist. Und auf keinen Fall sollte er Sie
dabei sehen.«
»Okay.« Mein Glaube an Pete schwand
schnell dahin, aber dann holte er eine Tüte Leckerli und ein kleines Metallding
hervor, das ein klickendes Geräusch machte. Mit den Leckerli als Belohnung und
dem Knipser als »Event Marker, um die gewünschte Reaktion zu unterstreichen«
(seine Formulierung, nicht meine) brachte er es fertig, George das Sitzen, das
Herkommen und das Hinlegen auf Kommando beizubringen, und alles in zwei
Minuten. Das allein war mir die fünfzig Pfund wert. Begeistert von der Möglichkeit,
George zu erziehen, versuchte ich es auch, sobald Pete das Haus verlassen
hatte.
»Sitz, George!«, sagte ich mit fester
Stimme und klickte.
Zu meinem Entzücken setzte George sich
sofort hin, wobei er grinste und mit dem Schwanz wedelte.
Das rief nach einer Bestätigung.
»Braver Junge! Kluger Junge!«, sagte ich und langte nach den Leckerli. Aber
noch ehe ich ihm eins geben konnte, war George hochgesprungen, hatte mir die
Tüte aus der Hand gerissen und war damit in die Küche gerannt. Bis ich ihn
eingeholt hatte, hatte er den gesamten Inhalt verschlungen, die Tüte zerfetzt,
und neben Joshuas Bett war ein frischer nasser Fleck.
Im Gefühl, völlig versagt zu haben,
rief ich Mrs Colman an und fragte sie, ob ich George wirklich ignorieren
sollte, wenn er im Haus gepinkelt hatte. Sie lachte laut. Was der Trainer
gesagt hatte, sei völliger Blödsinn, meinte sie. Ein Klaps auf die Nase mit
einer zusammengerollten Zeitung reichte meist bei jungen Hunden, und soweit sie
wusste, hatte noch keiner von ihnen psychische Probleme davongetragen.
Was Georges zunehmenden Freiheitsdrang
auf Hampstead Heath anbelangte, so riet mir der Tierarzt, ihn kastrieren zu
lassen, ehe er bei der Verfolgung einer Hündin unter ein Auto geriet oder auf
Nimmerwiedersehen verschwand. Nach langen inneren Kämpfen und einigen weiteren
angespannten Spaziergängen mit Joshua und Anthony fuhr ich also eines Tages mit
meinem armen Hund zur Praxis und ließ ihn zurück, damit die grausame Tat
geschehen konnte.
Leider hielt diese drastische Maßnahme
Anthony und mich jedoch nicht davon ab, bald danach unsere Beziehung zu
beenden.
Vielleicht fürchtete er, dass ihn
dasselbe Schicksal ereilen könnte.
12.
Kapitel
Das Weihnachtsfest 1999 war das zweite, das
wir ohne Udi verbrachten, und auch diesmal sah ich den Feiertagen mit schwerem
Herzen entgegen. Wie alle Eltern wünschte auch ich mir für mein Kind ein
Weihnachtsfest, an das es gern zurückdenken würde, aber es würde für uns beide
nicht ohne
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