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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
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inspiziert hatten,
erklärten sie, wir hätten so viele Schlösser und Fenstersicherungen, dass sie
nicht eindringen könnten, ohne die Vordertür zu beschädigen.
    »Das ist alles deine Schuld!«, fauchte
er mich an, als wir zitternd in der Kälte standen.
    » Meine? Warum?«
    »Hättest du nicht darauf bestanden, die
Wohnung in einen Hochsicherheitstrakt zu verwandeln, hätten wir diese
Schwierigkeiten jetzt nicht!«
    »Wir hätten diese Schwierigkeiten auch
nicht«, fauchte ich zurück, »wenn du uns nicht ausgesperrt hättest!«
    Der Ehekrach, der jetzt folgte, und die
doppelte Herausforderung, in die Wohnung einzubrechen, ohne zu großen Schaden
anzurichten, und gleichzeitig meine beiden bildhübschen Stieftöchter zu
beeindrucken, spornte die Feuerwehrleute an. Sie bohrten ein Loch durch einen
der Fensterrahmen im Erdgeschoss, wodurch sie das Sicherheitsschloss entfernen
konnten. Sie waren fantastisch. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass
ich ihre Hilfe brauchte.
    Was konnte man den Erinnerungen an
diese turbulenten, vergnüglichen Weihnachtsfeste der vergangenen Jahre
entgegensetzen? Jetzt ging es mir wie allen anderen, die einen geliebten
Menschen verloren hatten und an die ich vor Udis Tod keinen Gedanken
verschwendet hatte: während der Vorweihnachtszeit waren Joshua und ich ständig
von fröhlichen Familien umgeben. Auf jedem Werbeplakat schien es einen
fröhlichen Vater zu geben, der Geschenke auspackte, in jeder Fernsehreklame gab
es einen fröhlichen Vater, der den Truthahn aufschnitt, und fröhliche, lachende
Väter gab es auch in jedem der Filme, die das Fernsehen während der Feiertage
zeigte und die meist damit endeten, dass ein Junge und sein Vater nach langer
Trennung glücklich wieder vereint waren. Letzteres regte mich ganz besonders
auf, und während der Schauspieler mit ausgebreiteten Armen auf seinen Filmsohn
zurannte, rannte ich ins Badezimmer, damit Joshua nicht sah, wie ich heulte.
    In diesen Tagen dachte ich auch viel an
meinen eigenen Vater. Da es für einen Erwachsenen normal ist, einen Elternteil
zu verlieren, war ich in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder
Menschen in meinem Alter begegnet, die so einen Verlust ebenfalls gerade
erlitten hatten. Fast entschuldigend erzählten manche von ihnen, wie sie das
aus der Bahn geworfen hatte, selbst wenn der Tod nicht ganz unerwartet gekommen
war. Nach außen hin zeigte ich Verständnis, aber ein anderer Teil von mir, den
ich unterdrücken musste, hätte ihnen am liebsten gesagt, sie sollten sich
zusammenreißen. Ich war so damit beschäftigt gewesen, Joshua über den Verlust
seines Vaters hinwegzuhelfen, dass ich kaum Zeit gehabt hatte, an den Verlust
meines eigenen Vaters zu denken.
    Wenn ich jetzt Weihnachtseinkäufe
machte, mied ich die Abteilungen für Herrenbekleidung, als seien sie mit
Vogelgrippe infiziert, aber ich konnte nicht verhindern, dass mir in jeder
Papierabteilung ausgerechnet immer zuerst die Karten mit der Aufschrift Frohe
Weihnachten, Dad ins Auge fielen. Obwohl ich nie ein besonderes Geschick im
Aussuchen von Geschenken für meinen Vater oder Udi bewiesen hatte, fand ich
jetzt ständig Dinge, die ihnen Freude gemacht hätten. Ich kompensierte das,
indem ich besonders großzügig bei Joshuas Geschenken war. Wenn ich wieder
einmal meine schon ziemlich strapazierte Kreditkarte herauszog, sagte ich mir,
Weihnachten sei nicht die Zeit, um zu sparen. Aber wann war die eigentlich?
    Ich hätte wirklich ernsthaft daran
denken sollen zu sparen, denn während das Jahr mit den drei Nullen immer näher
rückte, wurden die Nullen auf meinem Bankkonto immer weniger. Ich hatte so oft
auf das finanzielle Polster, das Udi mir hinterlassen hatte, zurückgegriffen,
dass es jetzt eher einem dünnen Kopfkissen glich, und unbegabt, wie ich in
finanziellen Dingen war, würde das bald mit einem Schiffbruch enden. Vor Udis
Tod war ich bestrebt gewesen, mir als Schriftstellerin leichter, witziger
Romane für junge Frauen einen Namen zu machen, und seither hatte ich mehrmals
versucht, einen neuen anzufangen, wobei ich jedoch jedes Mal nach zwei oder
drei Kapiteln den Schwung verlor und es wieder aufgab. Es lag daran, dass ich
jetzt einfach nicht leichtherzig oder witzig sein konnte. Außerdem war ich selbst
keine »junge Frau« mehr, ich war Ende vierzig und fühlte mich eher wie eine
Matrone. Im letzten Jahr hatte ich kaum Einkommen gehabt, bis auf ein paar
Tantiemen hier und da, die auf wundersame Weise immer gerade dann

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