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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
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auch tat — bis sein leicht
verschwommener Blick auf die Nachspeisen fiel, die in der Küche aufgebaut
waren, und er geistesabwesend hinüberwanderte, um sich einen Löffel voll Mousse
au Chocolat zu holen. Es dauerte nicht lange, bis die vierjährige Jessica
angerannt kam und aufgeregt rief: »Tante, der Baum brennt!«
    Ich lachte über diesen goldigen
Ausspruch. »Nein, Schätzchen, er hat ja nur elektrische Lichter... O GOTT!«
Eine Kerze hatte den Zweig darüber entzündet, und kleine Flämmchen liefen
darauf entlang wie eine Armee roter und gelber Ameisen. Der ganze
Weihnachtsbaum, der trocken wie Zunder und voll elektrischer Kabel war, konnte
jeden Moment wie eine Fackel brennen. Ich rief allen zu, sie sollten
zurücktreten, und ergriff zwei Sofakissen, die ich über dem brennenden Zweig
zusammenschlug, um das Feuer zu ersticken. Aber es bewirkte genau das
Gegenteil, denn damit schuf ich einen Luftzug, der das Feuer noch begünstigte,
so dass es sich weiter ausbreitete. Kein Wunder, dass man mich als Kind bei den
Brownies hinausgeworfen hatte.
    Im nächsten Moment kam Udi mit dem Persönlichen
Küchen-Feuerlöscher, musste aber feststellen, dass er keine Ahnung hatte,
wie er zu bedienen war. Ich wusste es auch nicht. Keiner von uns konnte die
Gebrauchsanweisung auf der Seite lesen, weil sie viel zu klein gedruckt war und
wir keine Zeit hatten, unsere Brillen zu suchen. Als das Feuer den Baumstamm
erreichte, kam unser Freund Nigel uns zu Hilfe und drückte die Flammen mit
bloßen Händen aus, wobei er allerdings den Baum umwarf.
    »Wie konntest du bloß so unvorsichtig
sein?«, schrie ich Udi an, als wir die Fenster aufrissen, damit der Rauch
abziehen konnte. Ich sah auf die kaputten Glaskugeln, die Tannennadeln, die
versengten Sofakissen und unsere verräucherten Wände. »Du hättest uns alle
umbringen können!«
    »Aber ich dachte doch, ich hätte alles
ausgeblasen!«, protestierte er lahm. Immerhin hatte er so viel Anstand, etwa
fünf Minuten lang ein beschämtes Gesicht zu machen, aber bald lachte er
darüber, und später gab er diese Geschichte gern bei Einladungen zum Besten.
    Wenn Joshua am Weihnachtsmorgen
aufwachte, meist zu einer unmöglichen Zeit, so etwa um fünf Uhr, brachte er
seinen prallgefüllten Weihnachtsstrumpf immer in unser Schlafzimmer, kletterte
auf unser Bett und schüttelte ihn aus. Dabei filmte ihn sein Vater, der
Fernsehproduzent, mit der gleichen professionellen Sorgfalt, als mache er eine
Dokumentarsendung für den vierten Kanal. Udi war selten ohne Filmkamera zu
sehen und filmte Joshua seit seiner Geburt praktisch bei allem, was er tat:
Joshua beim Essen, bei Wutanfällen oder wenn er im Wohnzimmer Höhlen baute.
Danach spielte er den Film auf dem Fernseher ab, während Joshua auf seinem Schoß
laut lachte oder sich vor Verlegenheit wand. Ich protestierte oft und gab zu
bedenken, dass die Wiederholung des eigenen Lebens im Fernseher, nur Minuten
nachdem man die Situation durchlebt hat, bei einem so kleinen Kind womöglich
negative Spätfolgen haben könne, aber Udi fand, das sei Unsinn, und wie üblich
sollte er recht behalten.
    Jedes Jahr wechselten Sue und ich uns
ab, für die gesamte Verwandtschaft zu kochen, meist zwischen zwölf und vierzehn
Personen. Am zweiten Feiertag kamen dann gewöhnlich Hannah, Tabby und ihr
Partner Carlton und später ihr Sohn Nathaniel zu uns, und wir feierten zum
zweiten Mal Weihnachten mit der ganzen Familie. Da die Mädchen bereits am Tag
zuvor bei ihrer Mutter ein ausgiebiges Weihnachtsessen gehabt hatten, war
dieser Tagesordnungspunkt weniger wichtig als unser traditioneller Spaziergang
an diesem Tag. In Mantel, Schal und Gummistiefeln machten wir uns auf den Weg
zur Heide.
    »Hast du deine Schlüssel?«, fragte Udi
mich an einem solchen zweiten Feiertag, nachdem die Tür zu unserer Wohnung
sowie die Haustür hinter uns ins Schloss gefallen waren.
    »Nein«, antwortete ich, »hast du deine
nicht?«
    Am zweiten Feiertag war im gesamten
Nordend von London kein Schlüsseldienst aufzutreiben, also wählten wir 999 und
hofften, die Feuerwehr würde uns helfen. Da an diesem Nachmittag nicht viel los
war (die österreichische Tradition, den Christbaum anzuzünden, hatte sich in
England zum Glück noch nicht durchgesetzt), erschienen gleich zwei
Feuerwehrautos vor unserem Haus, aus denen zirka ein Dutzend tatkräftiger
Feuerwehrmänner sprangen. Joshua war atemlos vor Begeisterung. Udi weniger,
denn nachdem sie ums Haus gegangen und alle Fenster

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