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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
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Zuhause. Und nach achtzehn Monaten war die Wohnung immer noch meine
Verbindung zu Udi, der sie mit mir eingerichtet und so geliebt hatte. Von der
Handtuchstange im Bad bis zum Schuppen im Garten, alles erinnerte mich an ihn.
    Auch in allen Schränken und Schubladen
gab es noch Spuren von Udi, in Gestalt alter Handys, verstaubter Notizbücher
mit seiner Handschrift, großer Bündel geheimnisvoller Schlüssel, die er einst
mit sich herumgetragen hatte, und, auf dem Boden des Werkzeugkastens, Fasern
seines dunklen, aromatischen Tabaks. Das Traurigste aber war Udis Psion
Organiser, ein längst überholtes Stück Technologie, das kurz nach ihm den Geist
aufgegeben hatte und die letzten, unersetzlichen Wochen seines Tagebuchs, das
er seit Joshuas Geburt geschrieben hatte, in den elektronischen Himmel mitnahm.
    Warum hob ich diese nutzlosen Sachen
immer noch auf? Darauf gab es keine befriedigende Antwort. Es schien mir
einfach zu endgültig, wenn ich sie wegwarf. Erst vor kurzem hatte ich den Mut
gehabt, mir Udis Kleiderschrank vorzunehmen und mich um seine Sachen zu
kümmern. Joshua war gerade nicht da, und so biss ich die Zähne zusammen und
verstaute alles in Säcke, die ich schnell ins Auto lud und zu einem
Oxfam-Geschäft am anderen Ende von London brachte. Wenn es in der Nähe gewesen
wäre, hätte ich es riskiert, eines Tages einem Fremden zu begegnen, der wie
mein Mann angezogen war. Was Udis Schuhe anbelangte, so konnte ich den Gedanken
nicht ertragen, dass ein Fremder sie an den Füßen tragen könnte. Ich hatte sie
alle weggeworfen, bis auf ein etwas verrücktes Paar schwarzer Schuhe mit Riemen
und Schnallen, die er bei unserem ersten Rendezvous angehabt hatte. Ich
verstaute sie ganz hinten in meinem Schrank, wo auch Udis Mantel mit dem
Pelzkragen war, den er im Trödelladen gekauft hatte, außerdem zwei Jacketts,
die mich an ihn erinnerten, und sein geliebtes Hemd aus schwarzem Samt.
    Als das 21. Jahrhundert anbrach, wusste
ich, dass es Zeit war, auch diese Dinge loszulassen — und vielleicht sogar auch
die Wohnung. Es musste weitergehen. Aber das war leichter gesagt als getan.
Denn wohin sollte es gehen? Meine Beziehung mit Anthony gehörte seit kurzer
Zeit der Vergangenheit an, obwohl wir immer noch befreundet waren. Joshuas
Ablehnung war nicht das Einzige, was zwischen uns gekommen war. Wir hatten uns
zur falschen Zeit kennengelernt — vielleicht zu schnell nach Udis Tod, doch
befanden wir uns auch beide in einer völlig anderen Lebensphase. Ich brauchte
jemanden, mit dem ich noch einmal versuchen konnte, so etwas wie ein
Familienleben aufzubauen, einen Mann, der gewillt war, sich nicht nur auf mich,
sondern auch auf Joshua einzulassen. Je älter Joshua wurde, desto deutlicher
merkte ich, wie sehr er ein starkes männliches Vorbild brauchte, und ich wollte
so sehr, dass er es bekam. In vieler Hinsicht wäre Anthony der ideale
Stiefvater gewesen, aber das sah Joshua anders.
    Und wenn ich ehrlich sein soll, Anthony
sah es auch nicht so. Er hatte es wirklich mit Joshua versucht, aber als er
merkte, dass seine Bemühungen zu nichts führten, hatte er es aufgegeben, was
auch verständlich war. Und im Innersten seines Herzens wollte er auch nicht an
eine Frau mit einem Kind gebunden sein; er hatte das alles schon hinter sich,
zweimal sogar, und das reichte ihm. Alice, seine jüngste Tochter, war nun erwachsen
wie ihre drei anderen Schwestern, und zum ersten Mal, seit er Anfang zwanzig
war, führte Anthony wieder ein relativ ungebundenes Leben. Dazu gehörte, dass
er fast jeden Abend ausging, oft verreiste und sich an den Wochenenden
stundenlang Sportübertragungen im Satellitenfernsehen ansah. Der Gedanke, sich
nicht nur an mich, sondern auch noch an George, Monster Mog und Joshua gewöhnen
zu müssen — »der ganze häusliche Kram samt Kind und Kegel«, wie er es nannte — ,
war ihm einfach zu viel. Und wer konnte es ihm verdenken?
    Ich merkte, wie kompliziert die
Logistik in einer neuen Beziehung war, wenn man als erste Priorität ein Kind
hatte. Da gab es keine Spontaneität mehr. Man konnte nicht einfach beschließen,
jetzt ins Kino zu gehen oder über Nacht bei einem Freund zu bleiben, auch
konnte man ohne sorgfältige Vorbereitung nicht länger als ein paar Stunden weg
sein. Von romantischen Wochenenden konnte man nur noch träumen. Die
Vorbereitungen für das Wochenende in Paris mit Anthony im letzten Herbst waren
mindestens so kompliziert gewesen wie die zur Invasion der Falklandinseln, nur
ohne Schiffe

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