Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Summers
Vom Netzwerk:
streichelte
er meine Wange. »Ich will es nicht. Das ist ja das Problem. Aber du
musst den Tatsachen ins Auge sehen. Unsere Beziehung ist im Moment untragbar.
Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, ich komme auf der Liste deiner
Prioritäten an allerletzter Stelle. Ganz bestimmt rangiere ich doch hinter
diesem Hund. Und das ist dein Problem. Darum musst du dich kümmern.
Vielleicht solltest du noch mal mit ihm zum Tierarzt gehen. Ihr scheint ja
ohnehin dort zu wohnen.«



24. Kapitel
     
    Der Tierarzt warf einen Blick auf mein
erschöpftes Gesicht und die dunklen Ringe unter meinen Augen und sagte: »Wenn
Sie mich fragen, ist das ein typischer Fall von posttraumatischem
Stresssyndrom.«
    Ich hatte mich in den Monaten seit
Georges Verletzung müde und abgespannt gefühlt, aber ich wusste nicht, was mit
mir los war. Nun hatte dieser Fremde es erkannt. Ich war so erleichtert, dass
ich ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre.
    »Vielen Dank«, seufzte ich und
versuchte, nicht schon wieder zu heulen. »Wissen Sie, diese ganze Sache mit dem
Angriff auf George hat viele Fragen für mich aufgeworfen — und so viele Gefühle,
die ich seit dem Tod meines Mannes vor sechs Jahren unterdrückt hatte. Es geht
immer wieder um Trauer und Verlust. Nach Georges Verletzung ist das wie eine
Flutwelle zurückgekommen. Ich kann nicht schlafen, und mir kommen dauernd die
Tränen. Ich dachte, ich werde damit fertig, aber anscheinend geht es nicht. Ich
sollte vermutlich zu meinem Arzt gehen.«
    Er machte ein verlegenes Gesicht und
räusperte sich. »Eigentlich hatte ich George gemeint. Er leidet unter
einem posttraumatischen Stresssyndrom. Die Verletzung durch den anderen Hund
hat offenbar einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Ich schlage vor, dass
Sie einen Tierpsychologen hinzuziehen.« Er gab mir eine Visitenkarte.
»Versuchen Sie es mal mit Janine Grey«, sagte er, indem er mich fast zur Tür
hinausschob. »Sie kann Ihnen sicher sagen, was man da machen kann.«
    Janine Grey, MSC, Tierpsychologin und
Verhaltensforscherin, rauschte zwei Tage später mit derselben Autorität in
unser Haus, wie früher meine alte Rektorin, Miss Kynaston, zum Morgengebet in
die Aula gerauscht war. Aber während Miss Kynaston ein Drache mit verkniffenem
Mund, betonierter weißer Dauerwelle und kalten blauen Augen war, deren Blick
auch das keckste Schulmädchen zu einem zitternden Wrack werden ließ, war Janine
eine hübsche junge Frau mit langem dunklem Haar und großen braunen Augen, und
sie strahlte Wärme und Vernunft aus.
    George, der es gewohnt war, dass jeder,
der ins Haus kam, sehr viel Aufhebens um ihn machte, humpelte sofort auf unsere
Besucherin zu, die sich auch hinhockte und ihn begrüßte. »Hallo, George«, sagte
sie fröhlich und kraulte seine Ohren. »Wie ich höre, warst du ziemlich schlimm
dran?« Als Antwort stellte er seine Vorderpfoten auf ihr Knie und versuchte,
ihr das Gesicht zu lecken — seine übliche Begrüßung. »Nein, nicht lecken«,
sagte Janine freundlich, aber bestimmt.
    »Da können Sie lange warten«, lachte
ich. »Dieses Begrüßungsritual ist seine ganze Leidenschaft! Damit hört er nie
auf!«
    »Oh, das ist aber nicht sehr schön,
George«, sagte Janine mit Bestimmtheit. »Du hörst jetzt damit auf, nicht wahr?
Jetzt reicht’s!« Zu meinem Erstaunen verschwand Georges Zunge und blieb, wo sie
war. »Brav!« Janine stand auf und deutete in die Ecke der Küche. »Und jetzt geh
und setz dich dort hin!«, sagte sie. »Dein Frauchen und ich müssen miteinander
reden.« Mit wedelndem Schwanz humpelte George gehorsam in die Ecke und legte
sich hin, die Nase zwischen den Pfoten. »Brav!«, sagte Janine wieder. Sie
setzte sich an den Tisch und deutete an, ich solle mich ebenfalls setzen. Ich
tat es sofort. Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Also, wo liegt das
Problem?«
    »Ja, also...« Ich sah auf das gehorsame
flauschige Bündel, das wie ein kleiner Engel dort in der Ecke lag. »Im Grunde
genommen, äh, ist George kaum noch zu kontrollieren. Er macht einfach nicht
das, was er soll.«
    »Tatsächlich?«, sagte Janine, wobei
ihre Stimme ungläubig nach oben ging.
    »Sehen Sie, wie ich am Telefon bereits
sagte, er ist vor ein paar Monaten angefallen und fast umgebracht worden.«
    »Fast umgebracht?«, wiederholte sie.
    »Und seitdem ist er unsicher und
schutzbedürftig.«
    »Schutzbedürftig?«, kam das Echo
wieder.
    »Ja. Viel stärker als früher. Er hängt
schrecklich an mir. Ich verstehe natürlich, warum.

Weitere Kostenlose Bücher