Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
Vom Netzwerk:
einen Fußballklub. Von der englischen Zurückhaltung hatte er einen anderen Eindruck als ich. «Die Briten haben Rassismus und Snobismus erfunden und exportiert», sagte er einmal in einem Zeitungsinterview. «Hier existiert er noch immer.» Nachdem sein Sohn Dodi mit seiner Freundin Prinzessin Diana von Wales im August 1997 bei einem Autounfall in einem Pariser Tunnel starb, stellte Al-Fayed Verschwörungstheorien über «einen Komplott des britischen Establishments» an.
    Den FC Fulham hatte er in vier Jahren von der dritten in die erste Liga gehievt. Wenn er auf dem Trainingsgelände in Motspur Park vorbeischaute, musste ein Fußballplatz immer freigehalten werden. Er landete dort im Hubschrauber.
    Doch trotz oder gerade wegen Al-Fayed erhielt sich der Klub eine besondere Familienatmosphäre. Die Geschäftsstelle war, anders als bei den meisten Klubs, ins Trainingszentrum integriert, so hatten die Profis täglich Kontakt mit den Bürokaufleuten, Sekretärinnen und anderen Vereinsangestellten. Weder die Fans noch Al-Fayed kreierten den im Fußball üblichen Druck, unmögliche Ziele zu erreichen. Allen schienen Fulhams Beschränkungen bewusst zu sein. Relative Sorglosigkeit im Mittelfeld der Premier League wurde goutiert. Ungewöhnliche Siege wie ein 3:1 beim englischen Meister Manchester United wurden als Festtage begangen. Der Präsident schickte Glückwünsche mit Entenpastete. In der Trainingskabine stand am nächsten Morgen für jeden von uns ein Esskorb aus Harrods’ Delikatessenabteilung.
    Den Rest zur warmen Atmosphäre trug Cookie bei.
    «Schaut euch das an», rief der Trainer, als einer der Nachwuchsprofis, Elvis Hammond, nach den ersten Gehaltsüberweisungen gleich mit einem Mercedes CLK in den Motspur Park gefahren kam. «Da kommt Elvis mit seiner Wohnung. Hey, Elvis, hast du deine Wohnung verkauft, um dir das Auto leisten zu können?»
     
    Wie das Publikum waren auch wir Spieler bei Arsenal davon ausgegangen, dass unser Training unter Arsène Wenger das beste, anspruchsvollste, schnellste war. Umso mehr staunte ich in Fulham. Das Training war variabler und auf gewisse Art intensiver als bei Arsenal. Bei Wenger hatten wir immer unsere Kleinfeldspiele gemacht, in der steten Wiederholung lag die Magie: den Ball mit wenig Kontakten immer nach denselben Mustern passen, sich immer auf fixen Laufwegen bewegen. Unter Cookie absolvierten wir verschiedene Pass- oder Schussparcours, je nach Gegner lag der Schwerpunkt der Trainingswoche einmal auf dem Pressing, ein anderes Mal auf dem Flügelspiel, und manchmal spielten wir einfach Fußball, elf gegen elf über den ganzen Sportplatz. Das Tempo in diesen Spielchen war schon mal höher als bei Arsenal, wo die Mannschaft wegen der Champions League sehr oft drei Partien in acht Tagen bestritt und deswegen dosiert trainieren musste.
    Irgendwann im Winter sagte der Trainer, wir fahren für ein paar Tage nach Abu Dhabi. Ich ging davon aus, dass es sich um ein Trainingslager handelte. Es entpuppte sich als Gruppenreise mit eingebautem Fußballtraining. Als Erstes, direkt nach der Ankunft, legten sich die Engländer am Hotelpool in die Sonne. Unser Ersatztorwart Mark Crossley schlief auf der Liege ein. Er war für den Rest der Reise eine Rothaut mit einem winzigen weißen Rechteck auf der Brust. Dort hatte sein iPod gelegen, als er eingenickt war.
    Wir gingen Golf spielen und abends in die Bars. Als wir nachts in das Luxushotel zurückkamen und den langen Marmorflur sahen, war die Versuchung zu groß. Die gesamte Mannschaft nahm brüllend Anlauf und schlitterte auf der Brust, mit ausgebreiteten Armen und erhobenen Beinen, vor dem entgeisterten Hotelpersonal über den Boden.
    Damals hatte ich wieder mit dem Gedanken zu kämpfen: Aber müssen wir nicht ernsthafter arbeiten? Heute weiß ich, dass es die erfolgreichste Zeit meiner englischen Karriere war.
    Zum Ende der Hinrunde lagen wir auf Rang fünf der Premier League. Ich hatte beinahe alle Spiele bestritten. Nach einer 0:3-Niederlage bei Aston Villa Anfang Januar 2004 reichte ich den Mitspielern und Cookie die Hand und sagte, schön, euch kennengelernt zu haben. Meine Leihzeit war abgelaufen.
    Ich stand wieder bei Arsenal auf dem Trainingsplatz. Augenblicklich wurde ich in meiner eigenen Wahrnehmung wieder eine andere, die alte Person: nicht Moritz Volz, eine Entdeckung dieser Premier-League-Saison, sondern Moritz Volz, der Junge aus Bürbach, der mal bei Thierry Henry, Robert Pires und Dennis Bergkamp mittrainieren

Weitere Kostenlose Bücher