Unser Mann in London
durfte. Nach einigen Tagen meldete sich mein Agent bei mir. Wie es mir gehe, gut? Schön, also: Fulham habe angerufen. Sie hätten ein Angebot abgegeben, mich sofort aus meinem Vertrag herauszukaufen. Arsenal habe eingewilligt. Was sagte ich dazu? Wollte ich zu Fulham wechseln?
Ich sagte, keine Ahnung.
Ich hätte froh über die Neuigkeit sein sollen, aber ich war vor allem verwirrt. Seit vier Jahren war mein Denken darauf ausgerichtet, ein Spieler in Arsenals erster Elf zu werden. Nun auf einen Schlag nach Fulham zu wechseln, kam mir nicht nur wie ein Karrieresprung vor. Es fühlte sich auch wie Aufgeben an.
Ich klopfte an Arsène Wengers Bürotür.
Natürlich könnte ich auch bleiben, sagte der Trainer, er würde mich nicht wegschicken, er sei sehr zufrieden mit meiner Entwicklung. Wenn ich wollte, könnten wir sofort über eine Vertragsverlängerung bei Arsenal sprechen. Nur, auf Wengers Stirn bildeten sich Falten wie Gletscherspalten, wenn er ehrlich mit mir wäre, müsste er auch sagen, dass ich im Moment kaum Chancen hätte, hier in die erste Elf zu gelangen.
Ich sagte wenig.
Zwei Wochen trainierte ich bei Arsenal. Dann unterschrieb ich einen Vertrag über dreieinhalb Jahre in Fulham, glücklich und zweifelnd. Hätte ich es zumindest noch ein halbes Jahr bei Arsenal versuchen sollen? Vielleicht hätte Lauren nur einmal unglücklich die Rote Karte sehen müssen, und ich wäre im Team gewesen. Fußballkarrieren hängen immer auch von solchen Zufällen ab.
Viereinhalb Jahre nachdem mich Steve Rowley in Bürbach abgeholt hatte, meine mahnende Oma an seinem Arm, war mein Traum leicht mutiert wahr geworden: Ich war ein Premier-League-Profi; wenngleich nicht bei Arsenal.
All die Fragen, die sich mir und der hysterischen deutschen Fußballszene bei meinem Umzug nach England gestellt hatten, konnte ich nun beantworten. War es Kinderhandel gewesen? War der deutsche Fußball an meinem Weggang gestorben? Hatte mich das Geld verdorben?
War die Entscheidung zu gehen fußballerisch und menschlich richtig gewesen?
Gut zwei Jahre hatte ich gebraucht, um in der Fremde heimisch zu werden. Aber selbst damals, in den schwierigen Anfangsjahren, erlangte ich die Gewissheit, dass der Wechsel zu Arsenal das Beste war, was ich hatte tun können. Ich hatte dank des intensiven, durchdachten Trainings einen weiten Sprung nach vorne gemacht, ich wohnte nun in einem anderen Körper, breit und muskulös. Der Übergang von den Jugendmannschaften zu den Profis war in England viel fließender, ständig durften Jugendspieler bei der ersten Elf mittrainieren, gelegentlich wurden wir an kleinere Profivereine verliehen, so kam ich viel schneller, mit 20, auf dem höchsten Niveau an.
Und doch lebe ich noch heute mit den Selbstvorwürfen, nicht das Beste aus meiner Chance gemacht zu haben. Ich habe bei Arsenal nie eine Rolle gespielt. Moritz Volz, zwei Ligapokal-Einsätze, steht in der Klubstatistik. Ich denke, ich bin vor allem an meinem Blickwinkel gescheitert. Der Gedanke, ich sei doch nur ein Jugendspieler unter Weltstars, hemmte mich bis zum Schluss. Nüchtern betrachtet ist nichts Dramatisches dabei, es in einer der weltbesten Mannschaften nicht zu schaffen und stattdessen als geschätzte Stammkraft in der Premier-League-Mittelklasse weiterzumachen. Doch es schmerzt ein wenig, weil ich bei Arsenal nicht nur ein Profifußballer, sondern ein Fan wurde. Ich identifizierte mich mit Wengers Spielidee vom Hochgeschwindigkeits-Passspiel, dem hohen Arbeitsethos und dem Umgang in buddhistischer Gelassenheit, die er zu Arsenal gebracht hatte. Ich wünschte, ich wäre ein wichtigerer Teil der Wenger-Bewegung gewesen.
Noch heute, ein Jahrzehnt später, benutze ich meine Arsenal-E-Mail-Adresse.
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Zehn Tee um fünf
Ich griff die englische Tradition auf, Tee mit Milch zu trinken, und passte sie meinem Geschmack an. Ich trank Milch mit Tee. Das durfte bloß kein Engländer sehen. Noch heute bin ich nervös, wenn ich englische Gäste habe und ihnen einen Tee anbiete. Es gibt in England tausend Möglichkeiten, einen Tee falsch zuzubereiten, und mein Problem ist, dass ich nie lernte, was denn nun die richtige Art ist. Jeder Engländer, den ich fragte, sagte mir etwas anderes: Den Tee nur zwei Minuten und 15 Sekunden ziehen lassen. Oh Gott, niemals so kurz, mindestens drei Minuten dreißig muss er ziehen! Moritz, um Gottes willen, was machst du, die Milch immer nur tröpfchenweise in den Tee. Doch nicht so! Langsamer
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