Unser Mann in London
musste ich warten, bis die Mitspieler fertig waren, denn es gab nur eine Handvoll Duschen, und über den Trainingsplatz führte schon mal ein Rentner seinen Hund spazieren. Unser Stürmer Gareth Ainsworth hieß
The wild thing
. Er sang in einer Rockband namens
Dog Chewed The Handle
, zu Deutsch: Der Hund zerkaute den Griff. Aber so wie die Umstände waren, so war auch die Mannschaft: geerdet. Ich absolvierte zehn Zweitligaspiele für den FC Wimbledon, schoss gleich im ersten Match ein Tor, und selbst mein zwanghafter Blick auf meine kleinsten Fehler konnte nicht verhindern, dass ich fand: Ich hatte in Wimbledon gut gespielt. Die Spielpraxis hatte mir gutgetan.
Mit 20 Jahren war ich so weit, im Profifußball zu spielen. Doch bei Arsenal würde ich momentan nicht zum Einsatz kommen. Meine Position des rechten Außenverteidigers war von Lauren Etame besetzt. Ein halbes Jahr in Fulham wäre eine ausgezeichnete Möglichkeit, stärker zu Arsenal zurückzukehren, dachte ich.
In Fulham stellte ich mich mit meinen Mannschaftskollegen auf die Torlinie und ließ die Hosen runter. Aus 20 Metern feuerte die andere Elf Fußbälle auf unsere nackten Hintern. Ich hatte mit meiner Mannschaft das Trainingsspielchen verloren. Zur Belohnung durften die Sieger auf unseren blanken Po zielen.
Dass die Dinge in Fulham ein klein wenig anders als bei Arsenal waren, wusste ich spätestens, als ich die Sporthose wieder über den brennenden Hintern zog.
Es war wie eine Reise in die Tiefen des englischen Fußballs. Bei Arsenal war der Arbeitsalltag von einem Mann mit internationalem Fachwissen geprägt gewesen, Arsène Wenger. Es wurde hochkonzentriert und leise gearbeitet, alle waren immer
busy, busy, busy
. Ich finde kein deutsches Wort, das es genau trifft: Geschäftig kommt
busy
vielleicht am nächsten. Bei Fulham dagegen sah mir der Trainer Chris Coleman aufmerksam bei der Gymnastik zu und sagte laut zur Mannschaft: «Hey, Volzy würde ich auch gerne mal beim Sex zuschauen. Ich wette, der dreht noch ein paar Aufwärmrunden und dehnt die Muskeln, ehe er ins Bett springt.»
Alle lachten, ich auch, wenngleich noch etwas verdutzt. Ein Trainer, der mit den Spielern scherzte, als sei er einer von ihnen?
In der Arbeitsanleitung für Trainer steht vermutlich: «Machen Sie sich nie mit den Spielern gemein.» Aber Chris Coleman bezog seine natürliche Autorität gerade aus seinem Schuljungen-Charme. Er hatte eine enorme Ausstrahlung im wahrsten Sinne des Wortes: In seinem Gesicht lag immer ein Strahlen; selbst wenn er ernst war, strahlte er unterschwellig noch immer eine überbordende Lebensfreude aus. Er war ansteckend.
Coleman war erst 33, seine Spielerkarriere hatte er nach einem schweren Autounfall früh beenden müssen. In seinem Körper steckten Metallplatten, die bei der Notoperation eingesetzt worden waren. Bestimmt plagten ihn beizeiten Schmerzen, aber man wäre angesichts seiner Lockerheit nie darauf gekommen. Das Leben und der Fußball waren ein Spiel, strahlte er aus, und wir würden es mit spielerischer Leichtigkeit bestreiten.
Bei Arsenal hatten wir immer «Mister Wenger» gesagt. In Fulham sagten wir
Cookie
zum Trainer: Keks.
«Mensch, der Ina plappert heute mal wieder alle voll», sagte Cookie und legte den Arm um den japanischen Mittelfeldspieler Junichi Inamoto, der wie immer nur mit einem Lächeln antwortete, weil er Englisch weder sprach noch verstand.
An den Tagen nach einem Spiel kamen wir zum Training und wurden öfters davon überrascht, dass der Mannschaftsbus auf uns wartete. Wir stiegen ein, und Cookie ließ uns ins Schwimmbad bringen oder in den Richmond Park. Dort joggten wir ein bisschen. Danach gingen wir deutlich länger ins Park-Café. Ich war so erstaunt und begeistert, dass mich das Verlangen drückte, irgendjemanden anzurufen, irgendjemandem zu sagen: «Weißt du, was wir gerade im Training machen? Im Café sitzen!»
Bei so einem Trainer glaubte mancher Spieler, alles sei möglich. Antti Niemi, unser finnischer Torwart und der Welt größter Anbeter der True-Power-Death-Black-Heavy-Metal-Musik, fragte Cookie, ob er einen Tag freihaben könnte. Um in Helsinki auf ein Metallica-Konzert zu gehen. Da fiel selbst Cookie keine schlagfertige Antwort mehr ein. Er murmelte ein trockenes «Nein», und ich meinte, seine Gedanken hören zu können: «Niemi ist verrückt, Niemi ist völlig verrückt.» Aber das wussten wir in der Mannschaft natürlich schon längst.
Ich war gerade einmal neun Tage im Training,
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