Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
Vom Netzwerk:
da stellte mich Cookie mit der leichtfüßigen Selbstverständlichkeit, mit der er alles tat, zum Auftakt der Premier-League-Saison gegen den FC Middlesbrough als rechten Außenverteidiger auf. Ich hatte nie zuvor in der Premier League gespielt.
    In der Bundesliga verbringen die Mannschaften die Nacht vor dem Spiel im Hotel. In Fulham trafen wir uns anderthalb Stunden vor Anpfiff auf einem Schulhof. Dort konnten wir unsere Autos parken und nahmen den Mannschaftsbus ins nahe Stadion.
    Das Pech eines Außenverteidigers: Weil ich am nächsten zur Seitenauslinie spielte, bekam immer ich was von unserem Trainer Cookie zu hören, wenn irgendetwas im Spiel nicht lief.
    Eine Sache hatte Cookie mir zuvor beim Training mit auf den Weg gegeben. Wenn ich aus dem Mittelfeld Flanken schlug, sollte ich auf den vorderen Torpfosten zielen. Wenn ich dagegen den Flügel bis zur Grundlinie hinuntersprintete, würde ich immer auf Höhe des hinteren Torpfostens flanken. So wüssten unsere Stürmer stets, was auf sie zukäme. Warum sollte Taktik komplizierter sein? Einfachheit ist Klarheit, war unser Motto. Für jemanden wie mich war es ideal, so abrupt und wenig vorbereitet in die beste Liga der Welt geworfen zu werden. Ich hatte keine Zeit zum Grübeln.
    Nach sieben Spielminuten wurde ich von Middlesbroughs George Boateng getunnelt, wie wir in der Fußballsprache sagen: Er spielte mir den Ball durch die Beine und zog vorbei. Das ging ja gut los. Es kam noch besser. Nach neun Minuten schoss Middlesbrough das 0:1.
    Freunde aus Deutschland fragten mich oft: Ist der Fußball in England in Zeiten der Globalisierung wirklich noch anders? Allein diese meine ersten 90 Spielminuten in der Premier League reichten, um eine Antwort zu finden: Ja, natürlich.
    Zumindest bis 2006 – danach gab es teilweise einen Wandel – wurde das Spiel in Deutschland von der Angst dominiert. Bloß keinen Fehler machen, nur keine Torchance des Gegners zulassen. Behutsam wurde der Ball aus der Abwehr heraus gespielt. Ein Bundesligatorwart, der eine Flanke abgefangen hatte, stand sekundenlang still, den Ball an die Brust gezogen, nur den Kopf bewegte er hektisch ein halbes Dutzend Mal von rechts nach links, um zu sehen, wann alle Mitspieler wieder auf ihren Positionen waren. Dann erst rollte er den Ball zum Abwehrspieler. Der Verteidiger wiederum würde nie einen zentralen Mittelfeldspieler anspielen, falls dieser bewacht wurde, das Risiko schien zu groß. In Deutschland wurden Außenverteidiger wie ich meistens mit einem langsamen Querpass vom Innenverteidiger angespielt. In England dagegen liegt das Augenmerk darauf, die kleinste Unordnung in den Reihen des Gegners sofort auszunutzen. Das schafft man nur mit schnellem Vorwärtsstoßen. Gerade für den Außenverteidiger bedeutete dies einen elementaren Unterschied zu Deutschland: Fingen unser Torwart oder die Innenverteidiger den Ball ab, wusste ich, ich musste sofort nach vorne sprinten, denn ich würde im nächsten Moment schnell und steil angespielt, da der Angriff in England in der Regel über die Außenverteidiger eröffnet wird. Ich musste dann ansatzlos entweder den Flügel hinunterdribbeln oder sofort einen weiteren Steilpass spielen. Es war ein spürbar höheres Tempo im Spiel, deswegen natürlich auch eine höhere Fehlerquote, aber dem, der etwas riskiert und seine Fehler mit Hingabe wieder wettzumachen versucht, verzeiht das englische Publikum.
    Der FC Fulham und der FC Middlesbrough rasten. Ich wurde mitgespült, hinauf auf das höhere Tempo. Später, wenn ich zur Juniorennationalelf in den deutschen Fußball zurückkehrte, merkte ich immer, wie sehr mich das englische Spiel geprägt hatte. Mein Instinkt war, sofort steil nach vorne zu spielen, sobald ich den Ball hatte. Der Nationaltrainer Uli Stielike aber wollte, dass wir den Ball bedächtig, kontrolliert ins Mittelfeld brachten und dann das Spiel jäh mit langen Diagonalpässen auf den anderen Flügel verlagerten, um so die gegnerische Defensive ins Ungleichgewicht zu stürzen. Ich jedoch jagte gelegentlich aus englischer Gewohnheit mit dem Ball meinen Flügel hinunter. Für Stielike blieb das falsch, selbst wenn daraus etwas geworden war.
    Die Geschwindigkeit des Spiels gegen Middlesbrough überforderte uns gelegentlich selbst, aber sie führte auch dazu, dass die Partie weder nach dem 0:1-Rückstand noch nach unserer 2:1-Führung in der 56. Spielminute einen Herrscher fand. Ich fühlte mich zunehmend wohler im Getümmel. Als ich in den

Weitere Kostenlose Bücher