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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Verkehrsdichte wie eine Dschungeldurchquerung anfühlte. Die Durchschnittsgeschwindigkeit in der Stadt betrug 18 Stundenkilometer. Ich fuhr um halb acht los, um sicher um halb zehn in der Umkleidekabine zu sein. So holte ich mir meine Sportlerbeschwerden beim Autofahren: Nach einigen Monaten kämpfte ich mit Rückenschmerzen vom vielen Sitzen in meinem VW Golf.
    Cookie sagte, ich müsste etwas tun. Er habe eine kleine Zweitwohnung in Südlondon, die stehe zurzeit leer, die könne ich gerne benutzen. Ich war zu verlegen, um so ein Angebot vom Trainer anzunehmen. Unser Torwart Edwin van der Sar bot mir an, ich könne mich für die Nacht vor Heimspielen bei ihm einquartieren. Van der Sar hatte eine Familie mit zwei Kindern, er war Champions-League-Sieger, Weltklasse – wie konnte ich es wagen, mich bei ihm wie ein Pfadfinder einzunisten? Stattdessen entdeckte ich den Zug und das Fahrrad. Wenn ich in Vauxhall umstieg, konnte ich mit der Bahn in anderthalb Stunden in Motspur Park sein. Wenn ich ein Fahrrad mitnahm, konnte ich die zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof zum Trainingszentrum noch einmal auf zwei Minuten verkürzen. Ich erstand ein Klapprad und fuhr fortan zur Sicherheit um sieben Uhr los, das gab mir 45 Minuten Puffer, falls der Zug wieder einmal wegen Laub auf den Schienen oder der anderen klassischen, abstrusen Londoner Gründe eine Ewigkeit im Tunnel feststeckte.
    Niemals erkannte mich jemand im Zug. In London, in der Stadt, die Stars liebt, die aber zu groß ist, sie alle zu erkennen, konnten sich auch bekanntere Fußballer als ich ungestört bewegen. Ich war jeden Morgen auch nur ein Gesicht in der Menge. Wenn mich im Pendlerzug doch einmal jemand neugierig musterte, lag dies eher an meinem Klapprad als an mir.
    Ich las Zeitung und aß Sandwichs vom Bahnhofskiosk als zweites Frühstück im Zug, doch sosehr mir die Fahrten auch gefielen, gelangte ich nach anderthalb Jahren zu der Einsicht, dass dieses Pendlerleben eine unsinnige Anstrengung war. Anneke und ich entschlossen uns, nach Südwestlondon umzuziehen. Unsere englischen Freunde waren begeistert. Sie redeten nicht von einem Umzug. Sie riefen entzückt: «Oh, ihr klettert auf der Immobilien-Leiter nach oben!»

[zur Inhaltsübersicht]
Elf Der Mann im weißen Wagen
    Ich trat nicht ans Fenster, als er auf den Hof fuhr. Resigniert wartete ich am Küchentisch, bis er hinaufkommen würde. Der Mann im weißen Wagen trat wieder in mein Leben.
    Wir Londoner verdrängen seine Existenz, manchmal leben wir monatelang glücklich ohne seinen Schatten. Aber irgendwann taucht er in jedem Haus, in jeder Wohnung wieder auf.
    The white van man
hat es als feststehender Begriff mittlerweile sogar in das Internetlexikon Wikipedia geschafft. Der Mann im weißen Kleintransporter ist ein Handwerker oder Lieferant, der rüde durch die Straßen Londons rast. Praktisch alle Kastenwagen in London sind weiß, damit die Werbeaufschrift der Kleinunternehmer besser zur Geltung kommt. Für ihren rücksichtslosen Fahrstil sind sie berühmt und zum Klischee geworden. Aber was der
white van man
tut, wenn er seinen Kleintransporter erst einmal geparkt hat, ist eigentlich die größere Tragödie. Der typische Mann im weißen Kleinlaster ist ein Heizungsinstallateur, Elektriker, Fliesenleger oder Maler, oft auch alles zusammen, so genau nimmt er es bei der Berufsbezeichnung nicht. Der Mann im weißen Kleinlaster glaubt oftmals, er könne Rohre oder Parkett verlegen, nur weil er Maler gelernt hat.
    Wir Londoner sind ihm ausgeliefert. In einer Stadt, die besoffen vom Immobilienboom in schwindelerregender Eile baut und umbaut, geht ständig etwas kaputt. Aber wie die Bauarbeiter brauchen die Handwerker bei der Reparatur nicht auf Qualität zu achten. Es genügt, dass sie etwas zuwege bringen, was auf den ersten Blick wie eine Reparatur aussieht. Die Nachfrage nach Handwerkern ist immer so groß, dass es egal ist, wenn ihre Reparatur sich zwei Tage später als Pfusch entpuppt. Der Mann im weißen Wagen rast schon zum nächsten Auftrag.
    Wir hatten eine wunderschöne neue Wohnung in Fulham gefunden. Nach vier Tagen tropfte es im Heizungsraum. Während ich wartete, dass der Mann aus dem weißen Wagen in der Tür erscheinen würde, dachte ich an all die Probleme, die nach und nach in meiner ersten Londoner Wohnung am Ridgeway aufgetreten waren.
    Beim Duschen hatte ich mir den Kopf verbrannt, selbst wenn ich kaltes Wasser benutzte. Die Handwerker hatten eine kräftig strahlende Deckenlampe

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