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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Handwerker hat seine ganz eigene, hochexklusive Lehre vom Pfuschen und Stöpseln.
    Es gibt in Großbritannien keine geregelte Handwerkerausbildung, keine Meisterprüfung, keine Innung, die festlegt: Heizungsanlagen sind nur auf diese eine und einzige Art zu installieren. Jeder kann sich selbst Maler, Elektriker oder Heizungsinstallateur nennen, einen weißen Kleintransporter kaufen und zu arbeiten beginnen. So entwickelt jeder Handwerker autodidaktisch seine eigene Technik. Der Mann im weißen Wagen nimmt dann einen Jungen in die Lehre und gibt ihm sein selbstgemachtes Wissen weiter.
    Wenn er etwas auf sich hält, schreibt der Mann im weißen Wagen
German quality
auf seine Visitenkarte. Oftmals bezieht sich die deutsche Qualität zwar nur auf die Parkettbretter, die er verlegt, oder die Fenster, die er einbaut, und nicht auf seine Fähigkeiten. Aber das Unterbewusstsein eines Londoners ist von all den Handwerker-Neurosen schon so geprägt, dass es auf die paradiesischen Reizwörter sofort anspringt. Mir ging es genauso, als ich am Ridgeway den Teppich gegen Parkett tauschen lassen wollte.
German floors
, deutsche Böden, pries die Anzeige des Parkettlegers an, und ich griff schnell zu. Ich erlebte den Mann mit den deutschen Böden als sehr glücklichen Menschen. Wenn ich vom Training nach Hause kam, saß er meistens untätig, aber strahlend und lachend auf dem noch immer nicht mit deutschem Parkett bedeckten Boden meiner Wohnung. Der Haschischgeruch im Zimmer ließ mich ahnen, woher diese Glückseligkeit kam.
    Das Foto habe ich gemacht, um meinen Freunden die Maßarbeit englischer Handwerker zu zeigen: ein Schreibfehler auf der Straße – CEEAR statt CLEAR .
     
    Ich werte es als Zeichen meines Erwachsenwerdens, dass ich in meiner neuen Londoner Wohnung das Unerhörte tat: Ich wagte es, den Mann im weißen Wagen auf seine Fehler hinzuweisen. Ich hatte einen Maler engagiert. Als er in die Wohnung trat und den aufgerissenen Boden sah, sagte er: «Sie wollen Parkett verlegen? Das könnte ich ihnen auch machen.» Als ich einige Tage später seine Malerarbeit begutachtete, fragte ich mich, warum er nicht erst einmal sein eigenes Handwerk lernte.
    Er hatte ein gutes Stück des Milchglasfensters im Bad mit angemalt.
    «Das kann doch gar nicht sein. Wir haben die Fenster doch abgeklebt», verteidigte er sich entrüstet.
    «Ja. Sehen Sie, der Fensterrand, den Sie abgeklebt hatten, ist auch frei von Farbe. Leider haben Sie aber noch über den abgeklebten Rand hinweg gestrichen.»
    Für das Parkettverlegen ließ ich Handwerker aus Deutschland kommen.
    Das kam mich angesichts der Londoner Preise trotz der Fahrtkosten sogar noch billiger.
     
    2004 geriet der Mann im weißen Wagen dann plötzlich in eine existenzielle Krise. Mit dem polnischen Klempner tauchte – dank der EU -Erweiterung – der natürliche Feind des
white van man
auf. Mit bloßem Auge konnte man sehen, wie die polnische Kolonie in London über Nacht wuchs, polnische Lebensmittelläden und Restaurants wurden allgegenwärtig. Die vielen Handwerker aus Osteuropa, die in die Stadt strömten, wurden zum Rächer der traumatisierten Londoner Haus- und Wohnungsbesitzer. Auch als Rumäne oder Litauer ging man als polnischer Klempner durch. Es reichte vermutlich sogar, einfach Pole zu sein, und schon galt man als fabelhafter Elektriker oder Fliesenleger. Der polnische Klempner war der letzte Schrei. Jeder musste einen haben.
    Denn die Polen hatten offenbar eine richtige Ausbildung genossen. Die Polen wussten, was sie taten.
    Auch ich fand einen, Krzysztof. Ich rief ihn für all die kleinen Reparaturen, die in einer Londoner Wohnung ständig anfallen, Türklinken wechseln, Wasserflecken in der Wand beseitigen oder die niemals endende Arbeit: Fenster abdichten. Als er einen Kronleuchter an der sechs Meter hohen Decke in Fulham aufhängen sollte, fiel er leider von der Leiter.
    Beide Sprunggelenke waren gebrochen. Ich rief Krzysztofs Firma an, weil ich ihn im Krankenhaus besuchen wollte. Aber er wollte nichts mehr von mir sehen oder hören.
    Schmachvoll musste ich zum Mann im weißen Wagen zurückkehren.
     
    Er holt uns immer wieder ein, sooft wir seine Existenz im Alltag auch vergessen. Einmal ging ich vor einem Freundschaftsspiel noch schnell zu Hause auf Toilette. Draußen donnerte es. Die Wolken brachen, Regen strömte in biblischen Mengen vom Himmel. Ich dachte daran, mit welch kindischer Freude wir bei diesem Wetter beim Fußball durch die Pfützen schlittern

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