Unser Mann in London
einer unregelmäßigen Tradition, der Mannschaft Kuchen mitzubringen. An einem Samstag war der Bananenkuchen noch warm, als ich zum Stadion fuhr. Es war der Lieblingskuchen unseres amerikanischen Abwehrspielers Carlos Bocanegra. Ich stellte ihn heimlich unter Carlos’ Platz in der Umkleidekabine.
Nach kurzer Zeit begann er zu schnüffeln.
«Nach was riecht es hier?»
«Vielleicht nach deinem Angstschweiß, Carlos?»
«Nein, es riecht gut, oh mein Gott, es riecht … es riecht – nach Kuchen!»
«Dann schau mal unter dich, Carlos.»
«Bananenkuchen!»
«Aber erst nach dem Spiel essen.»
Er setzte ein Profigesicht auf, die Lippen geschlossen wie ein Strich, in den Augen abgeklärter Gleichmut. Was denkst du denn?, sagte Carlos’ Gesicht.
Kurz vor dem Warmmachen ging ich noch einmal auf Toilette. Carlos kam mir aus dem Duschraum entgegen. Er kaute noch.
«Bitte, sag niemandem etwas davon», flüsterte er. «Ich konnte einfach nicht mehr warten.»
Ich schlenderte durch die Delikatessenläden von Fulham, um neue Kuchensorten zu entdecken, die ich backen oder einfach nur kaufen und essen konnte. Kirschbäume säumten die adretten Straßen, die Türen der viktorianischen Reihenhäuser waren mal blau, mal rot, mal weiß gestrichen. Auf dem Parsons Green saßen die einen zum Zeitunglesen auf dem Rasen, und die anderen übten daneben mit ihrem Personal Trainer Kung-Fu-Tritte. Es ließ sich nicht mehr übersehen: Ich war, nach über vier Jahren in London, in einer neuen Stadt angekommen. Ich hatte die Vorstadt gegen das Zentrum eingetauscht. Es wurde ein anderes Leben.
Wir gingen nun oft ins Kino, zum Fünf-Uhr-Tee, zu Konzerten in die Royal Albert Hall, einmal auch zur Comedy. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch das Viertel und entdeckte die Geschäfte, Cafés und Restaurants.
Mit Jens Lehmann, der als deutscher Nationaltorhüter zu Arsenal gewechselt war, verabredete ich mich einmal im Zuma in der Raphael Street. Schlichte Holzmöbel vor robusten Steinsäulen strahlten die karge Schönheit japanischer Innenarchitektur aus. Der Chefkoch Colin Clague eilte aus der Küche zu unserem Tisch. Es lag eher an Jens Lehmann als an mir. Colin war ein passionierter Arsenal-Fan. Er wollte über Fußball reden, ich fragte ihn nach der japanischen Kochkunst.
Ich begeisterte mich für das Kochen, weil Essen meine Lieblingsbeschäftigung war.
Ich hatte mir schon von Rob, dem Arsenal-Koch, einige Tipps geben lassen. Nun bot mir Clague an, ich könnte gerne einmal einen Abend in der Küche mitarbeiten. Weil wir in England waren, fragte ich zur Sicherheit noch einmal nach, ob das nur eine Höflichkeitsfloskel oder tatsächlich eine Einladung war. Das Angebot stehe, versicherte er mir. Wenige Tage später stand ich in der Küche des Zuma.
Colin stellte mir seine Köche vor. «Und Vorsicht mit dem Dessertchef», sagte er noch. Die Dessertchefs sind die Torhüter der Restaurantbranche; sie selbst halten sich für besonders, der Rest hält sie bestenfalls für merkwürdig. Der Dessertchef gehe schon mal mit dem Küchenmesser auf die anderen los, sagte Colin. Ich wollte bei den Vorspeisen beginnen.
«Und was machen wir dann eigentlich mit dem Essen, das ich koche?»
Auch die
Times
war begeistert von meinen Backkünsten und montierte meinen Kopf in dieses Bäckerfoto.
«Wir servieren es.»
«Was?»
Das Zuma galt als eines der besten japanischen Restaurants Londons. Zumindest bis ich loslegte.
Salate anrichten, Karotten und Zwiebeln schälen bekam ich noch ganz gut hin. Dann kam ich an das Becken, in dem die Tempura-Gerichte frittiert wurden.
Ich nahm eine Garnele in die Hand und dippte sie in den Weizenteig. Ich sollte die Garnele mit der bloßen Hand ins kochende Öl halten und sie langsam drehen, damit sich der knusprige Teigmantel um die Meeresfrucht bildete. Ich war nervöser als in den Momenten, wenn Ryan Giggs mit dem Ball am Fuß, Haken schlagend auf mich zusprintete, und hielt die Garnele im Teigmantel viel zu tief ins Öl. Ich verbrannte mir die Finger und versuchte, nicht zu schreien.
Ravi, der indische Tempura-Koch, zeigte mir seine Hände. Selbst er, ein anerkannter Spezialist, hatte die Hände voller Verbrennungen und Narben. Aber die Tempura-Gerichte mussten mit der Hand ins Öl gehalten werden, da mit einer Zange das Feingefühl fehlte, um den Teigmantel gleichmäßig zu formen. Ich verdrückte mich schnell zum Sushi-Koch und versuchte mich als Nächstes an den Maki-Röllchen. Für jedes Röllchen waren exakt
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