Unser Spiel
einem einzigen Faden in den Einband genäht. Die Druckfarbe ist wasserlöslich und verläuft, sobald man sich daran zu schaffen macht. Wasserzeichen und Farbabstufungen sind beeindruckend kompliziert, wie uns die Weißkittel von der Fälschungswerkstatt der Firma immer wieder aufgebracht versicherten. »Beim britischen Paß, meine Herren, tun Sie besser daran, Ihren Mann dem Dokument anzugleichen als umgekehrt«, pflegten sie mit einer Gehässigkeit zu sagen, wie man sie eher Feldwebeln zutrauen würde, die zu Kadetten reden.
Aber wie konnte ich mich Mays Paß angleichen, wenn dort eine Größe von 1 Meter 70 – vermutlich mit Plateausohlen – angegeben war, während ich selbst 1 Meter 83 maß? Ein schwarzer Bart, ein dunkles Make-up, schwarz gefärbte Haare – das alles, nahm ich an, lag mehr oder weniger im Bereich meiner laienhaften Fähigkeiten. Aber wie um alles in der Welt sollte ich meine Körpergröße um dreizehn Zentimeter reduzieren?
Die Lösung lieferte zu meiner Freude der Fahrersitz des Mercedes, der mich nach Betätigung eines Knopfs an der Innenseite der Tür in einen Zwerg verwandelte. Und diese Entdeckung brachte mich dazu, daß ich eine Stunde außerhalb von Nottingham vor einem Café am Straßenrand hielt, aus dem Umschlag mit Mays Flugtickets die Gepäckanhänger des Reisebüros nahm, Mays Namen und Adresse darauf eintrug und sie gegen die Bairstow-Anhänger an meinem eigenen Gepäck austauschte. Dann buchte ich für mich und den Mercedes auf den Namen May für neun Uhr dreißig an diesem Abend einen Platz auf der Fähre von Harwich nach Hoek van Holland; anschließend suchte ich mir aus den gelben Seiten den nächstgelegenen Kostümverleih heraus, der, wenig überraschend, in Cambridge war, keine fünfzig Meilen entfernt.
In Cambridge kaufte ich mir auch einen leichten blauen Anzug und eine grelle Krawatte von der Art, wie sie May offenbar bevorzugte, dazu einen dunklen Filzhut, eine Sonnenbrille und – wozu war ich in Cambridge – im Antiquariat einen Koran, den ich zusammen mit dem Hut und der Brille auf den Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz legte, eine Stelle, die bestens geeignet war, den flüchtigen Blick eines mißtrauischen Einwanderungsbeamten zu beeinflussen, wenn er sich ins Wagenfenster beugte, um mich mit meinem Paß zu vergleichen.
Ich stieß jetzt auf eine Schwierigkeit, die mir neu war und die ich unter glücklicheren Umständen amüsant gefunden hätte: Wo kann ein anständiger Spion vier Stunden verbringen und sein Äußeres verändern, wenn er beim Herauskommen per definitionem eine andere Person ist als beim Hineingehen? Die goldene Regel der Verkleidung lautet: Je weniger, desto besser. Aber ich kam nicht daran vorbei, ich mußte mir die Haare dunkel färben, mein blasses englisches Gesicht, die Hände nicht zu vergessen, mit einem Bräunungsmittel einreiben, ich mußte mir Mastix aufs Kinn schmieren und mir Strähne für Strähne einen graumelierten schwarzen Bart ankleben, der dann liebevoll nach Aitken Mays extravagantem Geschmack zu trimmen war.
Nach einer Erkundung der Umgebung von Harwich fand sich als Lösung ein einstöckiges Motel, dessen Zimmer direkten Zugang auf numerierte Parkplätze hatten; der unangenehme Empfangsmensch verlangte Bezahlung im voraus.
»Schon lange auf?« fragte ich im Plauderton, als ich ihm die dreißig Pfund hinblätterte.
»Viel zu lange.«
Ich hatte noch fünf Pfund extra in der Hand. »Sehen wir uns heute abend noch? Ich nehme die Fähre.«
»Um sechs bin ich hier weg.«
»Na, das ist für Sie«, sagte ich großzügig: und hatte für fünf Pfund die Gewißheit erkauft, daß er nicht anwesend wäre und nicht sehen konnte, wie ich als eine andere Person abreiste.
Als letztes, bevor ich England verließ, mußte ich den Mercedes waschen und polieren lassen. Denn wer mit Beamtenhirnen zu tun hat – pflegte ich zu dozieren –, sollte, wenn er schon nicht bescheiden sein kann, wenigstens sauber sein.
***
Grenzposten haben mich immer nervös gemacht, am meisten die meines Heimatlandes. Obschon ich mich für einen Patrioten halte, fällt mir beim Verlassen der Heimat jedesmal eine Last von den Schultern, und bei der Rückkehr habe ich das Gefühl, von neuem eine lebenslängliche Freiheitsstrafe anzutreten. Vielleicht fiel es mir deshalb nicht so schwer, den Ausreisenden zu spielen, denn ich reihte mich leichten Herzens in die Schlange der Autos ein und näherte mich gut gelaunt der Paßkontrolle, die nicht mit einem Aufgebot von
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