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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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dieser Finsternis schießen sollen? –, folgte dem Kabel mit den Fingerspitzen, und plötzlich erschien, keine zwei Handbreit vor meinen Augen, in prächtigem Technicolor ein gewölbter grüner Lichtschalter.
    Ich war in einem Schießstand. Er erstreckte sich, gut dreißig Meter lang, zwischen den Gebäuden. Am anderen Ende, unter nackten Deckenlampen, standen mannsgroße Zielscheiben von unverfroren rassistischer Gestaltung: grinsende negroide oder asiatische Ungeheuer mit Maschinenpistolen quer vor der Brust, ein Knie angehoben, über etwas hinwegsteigend, das sie soeben mit dem Bajonett erledigt haben, die Uniformen grün und ockerfarben gesprenkelt, die Stahlhelme lässig schief auf dem Kopf, was auf Mangel an Disziplin hinweisen sollte. Ich befand mich in der Feuerstellung: Es gab dort Sandsäcke, hinter denen man stehen oder knien konnte, Metallgabeln zum Aufstützen der Schußwaffe, Fernrohre, falls man die Zielscheiben genauer sehen wollte, und Sessel, falls man es nicht wollte.
    Und nur wenige Meter hinter der Feuerstellung, mitten in der Schußbahn und diese für jeden ernsthaften Benutzer unbrauchbar machend, stand die blutverschmierte Werkbank eines Waffenschmieds. Und um das Untergestell der Werkbank und auf dem Boden noch mehr Blut. Das erklärte den Geruch, den ich zwar wahrgenommen, jedoch für abgestandenen Pulverdampf und Gewehröl gehalten hatte. Aber das war es nicht. Es war Blut. Schlachthausblut. Und in diesem Tunnel hatte das Schlachten stattgefunden, in diesem schalldichten Bunker, der dem einträglichen Vergnügen der Zerstörung gewidmet war. Hierhin waren die Opfer geschleppt worden, eins ohne Schuhe, eins ohne Jackett und ein drittes – wie ich nun fürchtete, als ich den braunen Baumwolloverall des Lagerverwalters an einem Nagel über einer Reihe von Werkzeugen hängen sah – ohne Overall. Hier, in der Abgeschiedenheit dieser künstlichen Stille, waren sie in aller Muße zerstückelt worden, bevor Männer in normalen Schuhen oder Turnschuhen sie durch die Küche und über den Sägemehlhaufen zu dem Ding mit den zwei Rädern trugen, das dort auf sie wartete.
    Ach ja, und unterwegs hatte jemand haltgemacht, um einen Baum zu malen. Baum wie im Wald. Baum wie im Blut.
    * **
    Die Schlüssel für den Mercedes und den Volkswagen hatte ich in der Tasche. Meine Beine waren aus Blei, mein Kopf voller Bilder von sieben Tage alten Leichen in Kofferräumen. Aber ich rannte, denn, wenn überhaupt, mußte ich das schnell hinter mich bringen. Der Mercedes war abgeschlossen, und als ich den Schlüssel in der Beifahrertür umdrehte, ging ein Heulen los, und die weißen Kühe hoben die Köpfe und glotzten mich an, und auf der Weide daneben blökte noch lange, nachdem ich den Lärm abgeschaltet hatte, ein Schaf mit schwarzem Kopf. Im Wagen roch es noch ganz neu. Ein Paar schweinslederner Autohandschuhe lag Hand in Hand neben dem heiß geliebten Autotelefon. Am Rückspiegel hing eine Gebetsschnur, auf dem Beifahrersitz lag ungeöffnet eine acht Tage alte Ausgabe des Economist .
    Aber keine Leichen.
    Ich holte tief Luft und schloß den Kofferraum des Mercedes auf. Der Deckel hob sich automatisch, dann half ich nach. Eine Reisetasche, Teil eines Sets. Ein schwarzlederner Aktenkoffer, so schmal, daß er einem Mann allenfalls als Kosmetikköfferchen dienen konnte. Abgeschlossen. Später untersuchen. Ich überlegte, ob ich die Sachen in meinen roten Ford bringen sollte, ließ sie dann aber liegen. Dann ging ich zu dem Volkswagen und wischte mit einem Taschentuch den Dreck vom Fenster. Ich spähte hinein. Keine Leichen. Ich schloß den Kofferraum auf und hob die Klappe. Ein neues Abschleppseil, eine Dose Frostschutzmittel, eine Flasche für die Scheibenwaschanlage, eine Fußpumpe, ein Feuerlöscher, Fußmatten, ein herausnehmbares Radio. Keine Leichen. Ich wollte zu dem ramponierten grauen Dormobile gehen, blieb aber wie angewurzelt stehen, denn jetzt sah ich zum erstenmal, was bis jetzt dahinter verborgen gewesen war: Halb im Heu begraben stand dort ein alter Ponywagen mit Deichsel und Gummireifen. Und am Hügel hinauf die unverkennbare Spur eben dieser Reifen im struppigen Gras. Und am Ende der Spur eine Granithütte mit Schieferdach und dahinter, auf dem Hang knapp unterhalb der zurückweichenden Wolke, ein abgestorbener Baum. Ich war, als ich den Ponywagen erblickte, noch fünf Meter davon entfernt, aber irgendwie überwand ich die Strecke und zerrte das Heu weg. Die alte Karosserie und die Polster waren

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