Unser Spiel
ihr zu sagen, daß Sie sie lieben? Das weiß sie bereits.«
»Um sie zu warnen.«
»Sie ist bereits gewarnt. Sie weiß, daß sie in Gefahr ist. Sie ist zufrieden. Sie liebt, aber sie liebt nicht Sie. Sie ist in Gefahr, er aber ist in größerer Gefahr als sie, und deshalb ist sie nicht in Gefahr. Das ist alles ganz logisch. Verstehen Sie?«
»Sicher.«
»Sie hat aufgehört, nach Rechtfertigungen für ihre Liebe zu ihm zu suchen. Bitte verlangen Sie keine von ihr. Es wäre erniedrigend für sie, sich weiter rechtfertigen zu müssen. Bitte verlangen Sie das nicht von ihr.«
»Das habe ich nicht vor. Deswegen bin ich nicht hier. «
»Dann müssen wir noch einmal fragen: Warum sind Sie hergekommen? Bitte – es ist nicht ehrenrührig, es nicht zu wissen! Aber falls Sie Ihre Motive entdecken, wenn Sie sie sehen, denken Sie bitte zuerst an Emmas Gefühle. Bevor sie Sie kennenlernte, war sie ein Wrack. Orientierunglos und labil. Eine vage Persönlichkeit. Wie Sie vielleicht auch. Sie wollte sich nur in eine Muschel verkriechen und dort ihr Leben verbringen. Aber das ist jetzt vorbei. Sie waren die letzte ihrer Muscheln. Jetzt ist sie ein wirklicher Mensch. Mit klaren Konturen. Einig mit sich selbst. Auf alle Fälle fühlt sie sich so. Wenn es nicht stimmt, gehen die verschiedenen Menschen in ihr jedenfalls in dieselbe Richtung. Das hat sie Larry zu verdanken. Vielleicht auch Ihnen. Sie sehen traurig aus. Etwa weil ich Larry erwähnt habe? «
» Ich bin nicht wegen ihres Dankes hier.«
»Weswegen dann? Um ihr die übliche Szene zu machen? Das will ich nicht hoffen. Vielleicht werden Sie eines Tages auch ein wirklicher Mensch. Vielleicht waren Sie und Emma einander sehr ähnlich. Zu ähnlich. Sie haben sich beide gewünscht, der andere wäre ein wirklicher Mensch. Sie erwartet Sie. Sie erwartet Sie schon seit einigen Tagen. Kann ich Sie ohne Bedenken allein zu ihr lassen?«
»Gibt es denn ein Risiko?«
»Ich denke an Emmas Sicherheit, Mr. Timothy, nicht an Ihre.«
Sie brachte mich wieder ins Treppenhaus. Das Klavierspiel hatte aufgehört. Das kleine Mädchen beobachtete uns aus einem Winkel.
»Sie haben ihr viel Schmuck geschenkt, richtig?« sagte Dee.
»Ich wüßte nicht, daß ihr das geschadet hätte.«
»Haben Sie ihr die Sachen deswegen geschenkt – um sie vor Schaden zu bewahren?«
»Nein, nur weil sie schön war und ich sie geliebt habe.«
»Sind Sie reich?«
»Reich genug.«
»Vielleicht haben Sie ihr den Schmuck geschenkt, weil Sie sie nicht geliebt haben. Vielleicht ist Liebe für Sie etwas Bedrohliches, etwas, von dem man sich loskaufen muß. Vielleicht konkurriert die Liebe mit Ihren anderen Ambitionen.«
Ich hatte Pew-Merriman ins Auge gesehen. Ich hatte Inspektor Bryant und Sergeant Luck ins Auge gesehen. Aber Dee ins Auge zu sehen war schlimmer als alles andere.
»Sie müssen noch eine Treppe hoch«, sagte sie. »Wissen Sie jetzt, weswegen Sie gekommen sind?«
»Ich suche meinen Freund. Ihren Liebhaber.«
»Weil Sie ihm verzeihen wollen?«
»So was Ähnliches.«
»Vielleicht muß er Ihnen verzeihen?«
»Was denn?«
»Wir Menschen sind gefährliche Waffen, Mr. Timothy. Und am gefährlichsten, wenn wir schwach sind. Wir wissen so viel über die Macht der anderen. So wenig über unsere eigene. Sie haben einen starken Willen. Vielleicht haben Sie Ihre Macht über ihn gar nicht gekannt.« Sie lachte. »Wie wankelmütig Sie sind. Erst wollen Sie zu Emma, dann zu Ihrem Freund. Wissen Sie was? Ich glaube, Sie möchten Ihren Freund gar nicht finden, sondern nur an seine Stelle treten. Gehen Sie behutsam mit ihr um. Sie wird nervös sein.«
* **
Sie war nervös. Und ich auch.
Sie stand am Ende des langgestreckten Zimmers, und das Zimmer war dem auf ihrer Seite von Honeybrook so ähnlich, daß sich mir als erstes die Frage stellte, warum sie dort überhaupt hatte wegziehen wollen. Ein typischer Dachraum, wie sie es gern hatte, mit einer hohen Holzdecke, die oben spitz zulief, und einer Aussicht, wie sie es liebte: Man konnte von beiden Fenstern auf den Fluß sehen. In einer Ecke befand sich ein altes Rosenholzklavier, vermutlich eins von der Art, die sie in der Portobello Road ins Auge gefaßt hatte, gerade zu der Zeit, als ich ihr den Bechstein kaufte. In einer anderen Ecke hatte sie einen Schreibtisch – keinen eleganten Damenschreibtisch, sondern eher ein nüchternes Möbel wie das in der Cambridge Street. Und auf dem Tisch stand eine Schreibmaschine, und darüber und auf dem Boden lagen
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