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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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ausgemalt hatte. Da oben im Turm sitzt Penelope, webt ihr Leichengewand, hält ihrem umherirrenden Larry die Treue und will von keinem Stellvertreter etwas wissen.
    Ich hatte mich stundenlang nach Verfolgern umgesehen. Ich hatte in Cafés gesessen, Autos, Angler und Radfahrer beobachtet. Ich war mit der Metro und mit Bussen gefahren. Ich hatte klassische Parks durchstreift und auf Bänken gesessen. Ich hatte alles getan, was ein Agent tun konnte, der seine treulose Geliebte vor Merriman und Pew, Bryant und Luck und dem Wald beschützen wollte. Und ich wurde nicht verfolgt. Ich wußte es. Die Experten sagen zwar, das könne man nie mit Sicherheit wissen. Aber ich wußte es.
    Eine runzlige alte Frau machte mir die Tür auf. Sie trug ihr graues Haar in einem Knoten und den groben blauschwarzen Kittel einer Magd. Und orthopädische Holzsandalen über Baumwollstrümpfen.
    »Ich möchte bitte die Contessa sprechen«, sagte ich ernst auf französisch. »Mein Name ist Timothy. Ich bin ein Freund von Mademoiselle Emma.«
    Ich wußte nicht, was ich sonst noch sagen sollte, und sie für eine Weile anscheinend auch nicht, denn sie blieb auf der Schwelle stehen, hielt den Kopf schief und kniff die Augen zusammen, als müsse sie sich erst auf mich einstellen, bis ich erkannte, daß sie mich eingehend betrachtete, erst mein Gesicht, dann meine Hände und Schuhe und dann noch einmal mein Gesicht. Und wenn auch das, was sie in mir sah, uns beiden ein unbehagliches Rätsel blieb, so sah ich jedenfalls in ihr eine solche Klugheit und Menschlichkeit, daß der runzlige kleine Körper fast zu schwach für diese Last erschien. Von oben hörte ich undeutlich ein Klavier spielen, ob original oder von Platte, war unmöglich auszumachen.
    »Folgen Sie mir bitte«, sagte sie auf englisch, und so stieg ich hinter ihr her zwei Treppen hinauf; die Klavierklänge wurden mit jeder steinernen Stufe ein wenig lauter, und ich verspürte zunehmend eine Übelkeit des Erkennens, ein Gefühl wie Höhenangst, und wenn ich aus den Fenstern der einzelnen Treppenabsätze auf die Seine hinabblickte, kam sie mir wie mehrere verschiedene Flüsse auf einmal vor: ein Fluß mit starker Strömung, ein anderer ruhig fließend und der dritte glatt wie ein Kanal. Aus einer Wohnungstür beobachteten mich braunhäutige Kinder. Ein junges Mädchen in buntem arabischen Gewand huschte an mir vorbei nach unten. Wir kamen in ein geräumiges Zimmer, und in dem hohen Fenster hier vereinigten sich die drei Flüsse und wurden wieder die Seine mit ihren Anglern in Baskenmützen und Liebespärchen. Die Musik war in dem Raum nur noch leise zu hören, dennoch erkannte ich ohne weiteres das obskure skandinavische Stück, das Emma auf Honeybrook für ihre Fingerübungen benutzt hatte, bevor ihr die hoffnungslosen Fälle wichtiger wurden. Und auch heute morgen spielte sie die gleichen kleinen Phrasen, wiederholte sie ein ums andere Mal, bis sie mit ihrem Spiel zufrieden war. Und ich erinnerte mich, wie sehr mich das, während andere diese ewigen Wiederholungen wohl bald leid geworden wären, immer hingerissen hatte, wie ich mit ihr gefühlt und nahezu das Bedürfnis empfunden hatte, ihr physisch, und wenn es noch so oft hätte sein müssen, über jede einzelne Hürde hinwegzuhelfen, denn das war im Grunde die Rolle, die ich in ihrem Leben zu spielen glaubte: als ihr Dirigent, ihr andächtiges Publikum, als der Freund, der bereit war, sie nach jedem Sturz wieder aufzuheben.
    »Ich heiße Dee«, sagte die Frau, als ob sie akzeptierte, daß von meiner Seite wenig Gesprächsbereitschaft zu erwarten war. »Ich bin Emmas Freundin. Aber das wissen Sie ja.«
    »Ja.«
    »Und Emma ist oben. Das hören Sie.«
    »Ja.«
    Ihr Akzent war eher deutsch als französisch. Aber das Leid in den Falten ihres Gesichts war universal. Sie hatte steif in einem großen Sessel Platz genommen und die Arme damenhaft würdig auf die Lehnen gelegt. Ich saß ihr gegenüber auf einem Holzstuhl. Die nackten Dielen liefen geradewegs von ihren Füßen zu meinen. Es gab keine Teppiche, keine Bilder an den Wänden. In einem Zimmer, nicht weit entfernt, läutete ein Telefon, aber sie achtete nicht darauf; schließlich brach es ab. Bald aber fing es wieder an, vermutlich läutete es den ganzen Tag, wie bei einem Arzt.
    »Und Sie lieben sie. Und deshalb sind Sie hergekommen.«
    Eine winzige Asiatin in Jeans war in der Tür erschienen und hörte uns zu. Dee fuhr sie scharf an, und sie trippelte davon.
    »Ja«, sagte ich.
    »Um

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