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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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um einen Tisch versammelt und warteten darauf, aufbrechen zu können. Tschetschejew saß am Kopfende, ich saß neben ihm und kannte mich in meinen Gefühlen nicht mehr aus.
    »Und alle diese ausgezeichneten Nebenquellen, die er hatte«, sagte er gerade, »die haben Sie erfunden?«
    »Ja.«
    »Sie persönlich? Mit Ihrem professionellen Genie?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Nicht übel. Für ein bürgerliches Schicksal nicht übel. Vielleicht sind Sie ein größerer Künstler, als Sie wissen.«
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, Larry sei in der Nähe.
    * **
    Magomed hockte vor einem Armee-Funkgerät. Es war nur gelegentlich in verstohlenem Stakkato zu hören. Issas Hände lagen gefaltet auf seiner Kalaschnikow. Tschetschejew hatte den Kopf auf die Hände gestützt und starrte mit halb offenen oder halb geschlossenen Augen in die Finsternis.
    »Sie werden hier keine mohammedanischen Fanatiker finden«, sagte er auf englisch und beinahe wie zu sich selbst. »Wenn man Sie deswegen hierhergeschickt hat, vergessen Sie’s. Keine Fundamentalisten, keine Spinner, keine Bombenwerfer, keinen, der von dem großen islamischen Superstaat träumt. Fragen Sie Larry.«
    »Was macht Larry für Sie?«
    »Er strickt Strümpfe.«
    Er schien für eine Weile einzunicken.
    »Soll ich Ihnen noch einen Witz erzählen? Wir sind friedliebende Menschen.«
    »Ein zufälliger Beobachter dürfte das freilich nicht merken«, meinte ich.
    »Wir hatten jahrhundertelang Juden unter uns. Fragen Sie Konstantin Abramowitsch. Sie waren uns willkommen. Auch nur ein Stamm wie die anderen. Eine Sekte. Womit ich nicht sagen will, daß man uns dankbar sein soll, weil wir sie nicht verfolgt haben. Ich will damit sagen, daß wir ein friedliebendes Volk sind, mit einer streckenweise sehr friedlichen Geschichte, und das wird niemals richtig anerkannt.«
    Wir machten eine Atempause, wie zwei erschöpfte Boxer.
    »Hatten Sie Larry nie in Verdacht?« fragte ich ihn. »Auch nicht insgeheim?«
    »Ich war ein Bürokrat. Larry war ein Topspion. Das halbe dumme Präsidium las seine Berichte. Glauben Sie, ich wollte da als erster reingehen und denen sagen, der Mann betrügt uns, und zwar schon seit zwanzig Jahren? Ich, ein Schwarzarsch, der gerade mal so geduldet wurde?«
    Er nahm seine verschlungenen Gedanken wieder auf. »Okay, wir sind ein streitsüchtiger Haufen Wilder. Nicht so schlecht wie die Kosaken. Kosaken sind das Letzte. Nicht so schlecht wie die Georgier. Georgier sind schlimmer als Kosaken. Und bestimmt nicht so schlecht wie die Russen. Sagen wir, die Inguschen haben eine selektive Einstellung zu Recht und Unrecht. Wir sind religiös – aber nicht so religiös, daß wir nicht weltlich sind.« Der Kopf fiel ihm nach vorn, und er hob ihn abrupt wieder hoch. »Und wenn irgendein verrückter Polizist jemals versuchen würde, das Strafgesetzbuch bei uns einzuführen, würde die Hälfte von uns im Gefängnis landen, und die andere Hälfte würde mit Kalaschnikows auf die Straße gehen und uns rausholen.« Er trank. »Wir sind ein Haufen aufsässiger Gebirgsbewohner, wir sind gottesfürchtig, wir trinken, kämpfen, prahlen, stehlen, wir fälschen hier ein bißchen Geld, schmuggeln da ein bißchen Gold, wir führen Blutfehden und lassen uns nicht in Gruppen organisieren, die aus mehr als einem Mann bestehen. Noch einen Schluck?«
    Wieder nahm ich die Flasche von ihm entgegen.
    »Allianzen und Politik, das können Sie vergessen. Ihr könnt uns versprechen, was ihr wollt, und jedes eurer Worte brechen, aber morgen glauben wir euch wieder. Wir leben in einer Diaspora, von der kein Mensch je etwas gehört hat, und wir machen Leiden durch, die man nicht im Fernsehen sehen kann, nicht mal mit einer Spezialantenne. Tyrannen können wir nicht ausstehen, wir haben keinen Erbadel, und wir haben in tausend Jahren keinen Despoten hervorgebracht. Trinken wir auf Konstantin.«
    Er trank auf Konstantin, und dann dachte ich, er sei eingeschlafen, bis er den Kopf hob und mit dem Finger auf mich zeigte.
    »Und wenn ihr Weißärsche aus dem Westen den Zeitpunkt für gekommen haltet, uns zu vernichten – und das werdet ihr, Mr. Timothy, das werdet ihr, weil ihr Engländer für jeden Kompromiß zu haben seid –, dann werden einige von euch sterben. Denn wir besitzen das, worum ihr gekämpft habt, als ihr noch Männer wart. Fragen Sie Larry.«
    Aus dem Funkgerät kam ein schriller Schrei. Magomed sprang auf, Issa gab den Männern an den Fenstern einen Befehl. Tschetschejew brachte mich zur

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