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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Stalins Lieblingswitz? Wenn nach einem Autounfall drei Tote im Graben liegen, dann ist das eine nationale Tragödie. Aber wenn eine ganze Nation deportiert und die Hälfte davon ausgerottet wird, dann ist das Statistik. Stalin war schon ein toller Bursche. Besser als Konstantin.«
    Ich redete entschlossen weiter. »Sie haben schweren Diebstahl begangen, sie stecken bis zum Hals in illegalen Waffenschiebereien, sie haben sich außerhalb des Gesetzes gestellt –«
    Er hatte sich erhoben und stand jetzt, die Hände auf dem Rücken, mitten auf der Bühne. »Gesetz?« fragte er. »Was für ein Gesetz, bitte? Was für ein Gesetz hat Larry gebrochen?«
    Ich verlor die Geduld. Die Kälte brachte mich zur Verzweiflung.
    » Welches Gesetz wenden Sie gegen mich an? Das britische? Das russische? Das amerikanische? Das internationale? Das der Vereinten Nationen? Das Gesetz der Schwerkraft? Das Gesetz des Dschungels? Ich verstehe das einfach nicht. Hat man Sie deshalb geschickt? – Ihre Firma – meine Firma – der sensible altruistische Oberst Zorin –, damit Sie mir eine Predigt über das Gesetz halten? Diese Leute haben jedes Gesetz gebrochen, das sie je gemacht haben! Jedes Versprechen, das sie uns gegeben haben: gebrochen! Jedes Schulterklopfen in den letzten dreihundert Jahren – eine Lüge! Diese Leute töten uns, in den Dörfern, in den Bergen, in den Städten, in den Tälern, und jetzt wollen sie, daß Sie mit mir über das Gesetz reden?«
    Seine Wut brachte mich in Wut. »Niemand hat mich geschickt! Geht das nicht in Ihren Kopf? Ich habe das Haus in der Cambridge Street gefunden. Ich habe gehört, daß Sie Larry in Bath besucht haben. Ich habe mir einen Reim darauf gemacht. Ich bin in den Norden gefahren und habe die Leichen gefunden. Und dann mußte ich das Land verlassen!«
    »Warum?«
    »Sie waren der Grund, TT. Sie und Ihre Intrigen. Und Larrys Intrigen. Und Emmas. Weil ich verdächtigt wurde, TTs Komplize zu sein. Weil ich verhaftet werden sollte. Wie Zorin. Ihretwegen. Ich muß ihn unbedingt sehen. Ich habe ihn sehr gern.« Als guter Engländer beeilte ich mich, das abzuschwächen. »Ich habe ihm viel zu verdanken.«
    Eine Bewegung im Schatten oder vielleicht auch nur der Wunsch, der Heftigkeit seines Zorns zu entfliehen, veranlaßte mich, mich in der Hütte umzusehen. Magomed und Issa saßen neben der Tür, sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und beobachteten uns. Zwei andere Männer bewachten die Fenster, ein dritter machte Tee auf einem Primuskocher. Ich wandte den Blick wieder Tschetschejew zu. Seine erschöpften Augen waren noch immer auf mich gerichtet.
    »Vielleicht sind Sie nicht einflußreich genug«, sagte ich und hoffte, ihn damit aus der Reserve zu locken. »Kann ich mit jemandem reden, der statt nein auch mal ja sagen kann? Vielleicht sollten Sie mich zu Ihrem Obersten Führer bringen. Vielleicht sollten Sie mich zu Bashir Haji bringen, damit ich ihm die Sache erklären kann.«
    Als ich diesen Namen aussprach, spürte ich förmlich, wie die Spannung im Raum anstieg. Aus dem Augenwinkel sah ich einen der Wächter am Fenster den Kopf umdrehen; der Lauf seiner Kalaschnikow schwang sachte mit herum.
    »Bashir Haji ist tot. Viele unserer Leute wurden mit ihm getötet. Wir wissen nicht, wer. Wir trauern. Das macht uns gereizt. Vielleicht sollten Sie auch trauern.«
    * **
    Eine furchtbare Müdigkeit hatte sich auf mich gelegt. Gegen die Kälte anzukämpfen, schien nicht mehr der Mühe wert. Tschetschejew lehnte in einem Winkel der Bühne, die Hände tief in den Taschen, den bärtigen Kopf im Kragen seines langen Mantels vergraben. Magomed und Issa waren in eine Art Trance verfallen. Nur die jungen Männer am Fenster schienen noch wach zu sein. Ich versuchte zu sprechen, aber ich bekam keine Luft mehr. Ich muß aber trotzdem etwas gesagt haben, denn ich hörte Tschetschejews Antwort, entweder in Englisch oder in Russisch.
    »Wir wissen es nicht«, wiederholte er. »Es war ein Dorf hoch in den Bergen. Erst war von zwanzig Toten die Rede, jetzt sollen es zweihundert sein. Die Tragödie wird zur Statistik. Die Russen verwenden Material, das wir noch nie gesehen haben. Als ob man mit Luftgewehren gegen Stealthbomber kämpft. Man ist schon erledigt, bevor man den ersten Schuß abgegeben hat. Die Leute da haben eine solche Angst, daß sie nicht mal mehr zählen können. Wollen Sie auch einen Schluck?«
    Er hielt mir die Flasche hin. Ich nahm einen langen Zug.
    * **
    Irgendwie war es Abend geworden, wir waren

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