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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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aber er merkte es nicht.
    »Und da sind Sie neu bekehrt worden«, meinte ich. »Und nach Hause zurückgekehrt.«
    »Die Inguschen haben sich an die Welt gewandt, aber die Welt war viel zu beschäftigt«, fuhr er fort, als hätte er mich nicht gehört. Er zählte auf, was die Welt so alles vorgeschützt hatte: » › Wer zum Teufel sind die Inguschen? He, das sind doch die aus dem russischen Hinterhof, oder? Also wirklich, diese Zersplitterung geht allmählich zu weit. Während wir die wirtschaftlichen Grenzen niederreißen, errichten diese verrückten Nationalisten neue nationale Grenzen. Sind das nicht alles Dissidenten? Und Moslems? Und Kriminelle. Also, die russischen Kriminellen sind doch harmlos, diese Schwarzärsche sind die wahre Gefahr. Wissen die etwa nicht, daß es Gerechtigkeit nur für die Großen gibt? Boris wird das schon regeln.‹ «
    Die Motoren des Flugzeugs stotterten und brummten dann etwas leiser weiter. Wir verloren an Höhe.
    »Wir könnten das lösen«, sagte er. »Sechs Monate. Ein Jahr. Kein Problem. Natürlich müßten wir kämpfen. Ein paar würden über die Klinge springen. Ein paar alte Rechnungen würden beglichen. Wenn wir die Russen nicht am Hals hätten, könnten wir das lösen.«
    »Landen wir, oder stürzen wir ab?« fragte ich.
    In einem häufig wiederkehrenden Alptraum sitze ich nachts in einem Flugzeug, das zwischen Gebäuden über einer immer schmaler werden Straße dahinrast. Dieser Alptraum wurde jetzt Wirklichkeit, nur daß wir diesmal zwischen Lichtmasten auf einen schwarzen Berghang zurasten. Der Hang öffnete sich, wir schossen in einen von Katzenaugen erhellten Tunnel, und die Katzenaugen waren über uns. Links und rechts rote und grüne Lichter. Dahinter ein fahlgrauer Betonspielplatz, auf dem hinter hohen Maschendrahtzäunen Kampfflugzeuge, Feuerwehrautos und Tankwagen mit Treibstoff standen.
    Von Tschetschejews nachdenklicher Stimmung war nichts mehr übrig. Noch bevor wir schleudernd zum Stehen kamen, war er nüchtern. Er öffnete die Rumpftür und spähte hinaus, die zwei Muriden standen hinter ihm. Magomed drückte mir eine automatische Pistole in die Hand. Ich schob sie mir in den Hosenbund. Der weltliche Issa übernahm meine andere Seite. Die Besatzung sah stur geradeaus. Die Flugzeugmotoren brüllten ungeduldig. Aus den nebligen Tiefen des Bunkers blinkte zweimal ein Scheinwerferpaar auf. Tschetschejew sprang auf die Rollbahn, wir sprangen ihm nach, verteilten uns und liefen in Pfeilformation los – Tschetschejew an der Spitze, die Muriden mit den Kalaschnikows im Anschlag an den Außenflanken. Am Fuß einer langen Rampe erwarteten uns zwei schmutzige Jeeps. Als Magomed und Issa mich links und rechts beim Ellbogen packten und mir über die Ladeklappe des zweiten Jeeps halfen, sah ich, wie unser stolzes kleines Transportflugzeug schon wieder zum Starten wendete. Die Jeeps verließen die Rampe und rasten über eine Asphaltstraße an einem unbesetzten Kontrollpunkt vorbei. Wir erreichten einen Kreisverkehr, rumpelten über eine niedergewalzte Verkehrsinsel und schossen nach links auf eine Fahrspur, die man in diesen Gegenden wohl als Hauptstraße bezeichnete. Auf einem Schild stand in Russisch: Wladikawkas 45 Kilometer, Nasran 20. Es roch nach Mist und Heu und Honeybrook. Ich dachte an Larry, wie er in Strohhut und Bauernkittel Trauben pflückte und dabei zum Entzücken Emmas und der Toller-Mädchen »Greensleeves« sang. Ich sah ihn vor mir, Gesicht nach oben oder nach unten. Und stellte ihn mir, nachdem ich ihn getötet hatte, wieder lebendig vor.
    * **
    Unser sicheres Haus bestand aus zwei Häusern innerhalb eines von weißen Mauern umgebenen Hofs. Es gab zwei Tore, eins zur Straße, eins zum offenen Weideland hin. Jenseits des Weidelands erhoben sich die von Mondlicht und Schatten konturierten Ausläufer eines Gebirges in einen sternenübersäten Himmel. Und über diesen Hügeln ragten hohe Bergketten auf. Dazwischen blinkten die Lichter eines fernen Dorfs.
    * **
    Wir befanden uns in einem Wohnzimmer mit Matratzen auf dem Fußboden und einem Plastiktisch in der Mitte. Zwei Frauen in Kopftüchern, vermutlich Mutter und Tochter, trugen Essen auf. Unser Gastgeber, ein stämmiger Mann um die sechzig, sprach mich mit gesetzten Worten an und drückte mir die Hand.
    »Er heißt Sie willkommen«, sagte Tschetschejew ohne seinen üblichen Zynismus. »Er sagt, es sei ihm eine große Ehre, daß Sie hierhergekommen sind, und Sie sollen neben ihm sitzen. Wir können unsere

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