Unser Spiel
war sie weg.
Aber wo bin ich? Wie soll Sidney wissen, wo er mich erreichen kann? Dann fiel mir ein, daß die ganze Zurückverfolgerei von Anrufen seit dem Umzug aus dem alten Gebäude passé war. Wahrscheinlich stand meine Telefonnummer schon auf ihrem Bildschirm, bevor sie überhaupt den Hörer abgenommen hatte. Sie wußte sogar, von welchem Anschluß aus ich sprach: Cranmer ist in seinem Arbeitszimmer … Cranmer kratzt sich am Arsch … Cranmer hat Liebeskummer … Cranmer ist ein Anachronismus … Cranmer denkt gerade , wie wir Ewigkeit erklären , kann sie auch Sekunden währen , und fragt sich , wo er das gelesen hat … Cranmer nimmt wieder den Hörer ab …
Ein Vakuum, dann wieder Elektronisches. Ich hatte meine Rede vorbereitet. Ich hatte meinen Tonfall vorbereitet. Reserviert. Keine unziemlichen Gefühle, das mag Merriman nicht. Nicht den Eindruck erwecken, daß hier bloß mal wieder ein Ehemaliger versuchen könnte, sich in die Herde zurückzureden, etwas, wofür Ehemalige berüchtigt sind. Ich hörte Merriman und fing an mich zu entschuldigen, daß ich so spät am Sonntagabend anrief, aber das interessierte ihn nicht.
»Haben Sie mit Ihrem Telefon irgendeinen Scheiß angestellt?«
»Nein. Wieso?«
»Ich versuche Sie seit Freitagabend zu erreichen. Sie haben Ihre Nummer geändert. Warum zum Teufel haben Sie uns das nicht mitgeteilt?«
»Ich dachte, Sie hätten schon Ihre Methoden, das herauszufinden.«
»Am Wochenende? Sehr witzig.«
Ich schloß die Augen. Der britische Nachrichtendienst muß bis Montag warten, um an eine nicht eingetragene Nummer heranzukommen. Erzähl das mal dem neuesten nutzlosen Überwachungsausschuß, der dafür eingesetzt ist, unsere Arbeit kosteneffektiv, rechenschaftspflichtig oder – was für ein Witz – transparent zu gestalten.
Merriman fragte mich, ob ich Besuch von der Polizei bekommen hätte.
»Ein Inspektor Percy Bryant und ein Sergeant Oliver Luck«, antwortete ich. »Kamen angeblich aus Bath. Hatte eher den Eindruck, sie wären von der Zentrale.«
Schweigen, während er seinen Terminkalender befragte oder einen Kollegen oder womöglich seine Mutter. War er in der Firma? Oder in seinem attraktiven Chiswicker Herrenhaus, nur einen Katzensprung von der Themse entfernt? »Vor morgen fünfzehn Uhr ist nichts zu machen«, sagte er mit der gleichen Stimme wie mein Zahnarzt, wenn man ihn bittet, wegen läppischer Zahnschmerzen seinen lukrativen Zeitplan zu ändern: Ja , tut es denn wirklich weh? »Sie wissen doch, wo wir jetzt sind? Sie finden hierher?«
»Ich kann ja immer einen Polizisten fragen«, sagte ich.
Er fand das nicht komisch. »Gehen Sie zum Haupteingang, und bringen Sie Ihren Ausweis mit.«
» Wie bitte?«
Schon aufgelegt. Ich riß mich zusammen: ganz ruhig. Da hatte nicht Zeus gesprochen, sondern Jake Merriman, das leichteste der Leichtgewichte von der Oberen Etage. Noch etwas leichter, und der Wind bläst ihn vom Dach, pflegten wir damals zu sagen. Eine Krise, das war für Jake eine schlechte Olive in seinem trockenen Martini. Und überhaupt, was war denn so sensationell an Larrys Verschwinden? Eigentlich nur, daß die Polizei sich eingeschaltet hatte. Wie war das früher, wenn Larry verschwunden war? In Oxford, als er, anstatt die Aufnahmeprüfung zu machen, lieber mit dem Fahrrad nach Delphi fuhr? In Brighton, wo er sich an dem Tag, als sein erstes heimliches Treffen mit einem russischen Kurier stattfinden sollte, lieber im Kreise kongenialer Seelen betrank, die er in der Bar des Metropol aufgelesen hatte?
* **
Es ist drei Uhr morgens. Als mein Agent steckt Larry noch in den Kinderschuhen. Wir parken wieder einmal auf einem unserer abgelegenen Hügel, diesmal in den Downs von Sussex. Unter uns liegen die Lichter von Brighton. Dahinter das Meer. Sterne und Halbmond machen aus dem Himmel ein Kinderzimmerfenster.
»Ich seh da keinen Sinn , Timbo, altes Haus«, protestiert Larry, während er kurzsichtig durch die Windschutzscheibe späht. Er ist noch ein Junge, hat die Silhouette eines jungen Pan – lange Wimpern und volle Lippen. Sein von unbekümmerter Kühnheit und hochherziger Entschlossenheit geprägtes Auftreten gewinnt ihm die Herzen seiner kommunistischen Freier. Sie begreifen nicht – und wie sollten sie auch? –, daß ihr jüngster Fang, wenn sein ständiger Tatendrang nicht befriedigt wird, sich mit einem Schlag um hundertachtzig Grad drehen kann; daß Larry Pettifer die Welt lieber in die Katastrophe stürzen als stillstehen sieht.
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