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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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»Du hast den falschen Mann, Timbo. Müßte ein paar Nummern schlechter sein. Ein größeres Arschloch.«
    Hier, iß was, Larry, sage ich und gebe ihm ein Stück Schweinepastete. Hier, nimm noch einen Schluck Limonensaft. Denn dies ist das Verbrechen, das ich jedesmal begehe, wenn er anfängt schwach zu werden: Ich rede seine Bedenken nieder; ich schwenke die furchtbare Fahne der Pflicht. Ich ziehe die gleiche Nummer ab wie früher auf der Schule als Vertrauensschüler, als Larry ein rebellischer Pfarrerssohn war und ich der König von Babylon.
    »Hörst du mich?«
    »Ich höre.«
    »Dienst ist Dienst, weißt du noch? Du säuberst die Kloaken der Politik. Das ist der schmutzigste Job, den die Demokratie zu bieten hat. Wenn du ihn anderen Leuten überlassen willst, werden wir alle Verständnis haben.«
    Langes Schweigen. Auch betrunken ist Larry nicht dumm. Manchmal ist er betrunken weit scharfsichtiger als in nüchternem Zustand. Und ich habe ihm geschmeichelt. Ich habe ihm eine große, beschwerliche Aufgabe angeboten.
    »Du glaubst nicht, Timbo, daß wir, wenn es um Demokratie geht, mit schmutzigen Kloaken besser dran sein könnten?« fragt er und spielt jetzt den Hüter unserer freiheitlichen Demokratie.
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn das deine Meinung ist, sag es lieber gleich, und geh nach Hause.«
    Was vielleicht etwas zu dick aufgetragen ist, aber ich befinde mich mit Larry noch im Stadium der Gier: Er ist mein Geschöpf, und ich muß ihn haben, welche Fäden auch immer ich ziehen muß, um ihn zu behalten. Es ist erst wenige Wochen her, seit der amtierende Resident der sowjetischen Botschaft in London, angeblich heißt er Brod, ihn nach einem endlosen Fächertanz als seinen Agenten rekrutiert hat. Jetzt wird mir jedesmal schlecht vor Angst, wenn Larry mit Brod zusammen ist. Ich wage mir nicht vorzustellen, was da für staatsgefährdende Ansichten sein launisches, beeinflußbares Wesen ins Wanken bringen und das Vakuum seiner ewigen Langeweile ausfüllen könnten. Wenn ich ihn in die Welt hinausschicke, soll er mir nach seiner Rückkehr noch mehr gehören als vorher. Und falls sich das wie der Wunschtraum eines Potentaten anhört, so entspricht es doch auch dem, was man uns jungen Marionettenspielern über die Führung unserer Joes beigebracht hat: Sie sind unsere Mündel, eine zweite Familie, Männer und Frauen, die wir lenken, beraten, unterstützen, motivieren, erziehen, vervollkommnen und besitzen sollen.
    Also hört Larry mir zu, und ich höre mir zu. Und ich bin gewiß so überzeugend und ermutigend, wie man nur sein kann. Was vielleicht der Grund dafür ist, daß Larry für kurze Zeit einschläft, denn plötzlich, als sei er gerade aufgewacht, rutscht sein verschwitzter Wunderkindkopf in die Senkrechte.
    »Habe ein ernstes Problem, Timbo«, verkündet er tapfer und zutraulich. »Ein sehr ernstes sogar. Gigantisch.«
    »Erzähl’s mir«, sage ich großzügig.
    Aber das Herz ist mir schon in die Hose gerutscht. Eine Frau, denke ich. Wieder mal eine. Sie ist schwanger, sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, ist von zu Hause weg, ihr Mann ist mit der Peitsche hinter Larry her. Ein Auto, denke ich: wieder mal eins. Er hat eins zu Schrott gefahren, hat eins gestohlen, hat eins geparkt und weiß nicht mehr, wo. Jedes dieser Probleme ist in der kurzen Zeit unserer Zusammenarbeit bereits mindestens einmal aufgetaucht, und in deprimierten Momenten frage ich mich, ob Larry dieser Mühe wert ist, eine Frage, die mir von der Oberen Etage praktisch seit Beginn unserer Bemühungen gestellt wird.
    »Meine Unschuld«, erklärt er.
    » Wie bitte?«
    Er wiederholt, sehr präzise. »Unser Problem, Timbo, ist meine törichte, unheilbare, alles verschlingende Unschuld. Ich kann das Leben nicht sich selbst überlassen. Dafür liebe ich es zu sehr. Seine Fakten und seine Fiktionen. Ich liebe alle Menschen, immer. Am meisten liebe ich die, mit denen ich zuletzt gesprochen habe.«
    »Und was ergibt sich daraus?«
    »Und daraus ergibt sich, daß du dir sehr genau überlegen mußt, was du von mir verlangst. Denn ich werde es tun. Du bist so ein redegewandtes Schwein. So ein feiner Kerl. Du mußt dich mäßigen , kannst du mir folgen? Du mußt dich zurückhalten . Du darfst mich nicht immer ganz beanspruchen.«
    Dann dreht er sich um und hebt sein Gesicht zu mir hoch, und ich sehe die alkoholhaltigen Tränen wie Regenwasser darüber hinströmen, was sich allerdings nicht auf seine Stimme auswirkt, die so sanft und

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