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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bente Varlemann
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zusammengepasst. Genauso, wie Nudeln, Fleischwurst und Ketchup nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zusammenpassen …
    Oh, Kühlschrank
    Ich wünscht’, du wärst ein Mann
    Und nicht quadratisch, kalt und technisch tot
    Oh, Kühlschrank
    Dann wärst du glücklich mit mir und meinem Warenangebot
    Oh, Kühlschrank
    Ich wünscht’, du würdest dich selbst vollstellen
    Oh, Kühlschrank, oh, Kühlschrank
    Und mir mit deinem Licht mein Herzchen erhellen

Dann verschwand er
    Die Geburtstagskarte erreicht mich wie immer pünktlich. Sie liegt vor der Tür zu meinem WG -Zimmer. Die Handschrift kenne ich, es ist mein Vater, der schreibt und schickt, und ich frage mich, warum er das tut. Je älter ich werde, desto mehr bekomme ich ein Gefühl dafür, wie kompliziert Beziehungen sind. Ich versuche, mich in Menschen hineinzuversetzen, um sie besser zu verstehen. Um zu begreifen, was sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Und um für mich sichtbar zu machen, dass jeder Mensch eine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat, die zwar von vielen Außenfaktoren abhängt, aber letztlich doch von jedem selbst bestimmt wird. Dies ist die Geschichte von einem Mann, der nicht mein Vater ist. Wie in allen Geschichten liegen Fiktion und Wahrheit dicht beieinander, sie steuern permanent auf den Nullpunkt zu, ohne jemals eine komplette Überschneidung zu erreichen. Geschichten wie diese sind ausgedacht real.
    Geboren am Ende des Jahres 1950 , an einem regnerischen und stürmischen Novembertag. Fünf Jahre nach Kriegsende, und die Mutter freute sich, denn es reichte für Heizung und Kinderfrau. Es reichte nicht für Wärme und Zuneigung. Der kleine Junge durfte zwar ein kleiner Junge sein, er spielte in den Ruinen der Kleinstadt, die langsam wiedererrichtet wurde, aber warum dort Häuser nur noch zur Hälfte standen oder weshalb andere Kinder nicht mit ihm spielten, sondern ihm sein Butterbrot stahlen, das verstand er nicht. Zu Hause musste er beim Essen gerade sitzen, durfte sich nicht anlehnen, keine Ellenbogen auf die Tischplatte legen. Einmal geschah es, dass er beim Spielen einen Stein warf, direkt in das Fenster der väterlichen Praxis. Er traute sich nicht nach Hause, flüchtete sich erst in die Arme der Ruinen und dann in die der Kinderfrau. Als es dämmerte, schlich er sich heim. Es erwartete ihn dort der geliebte und offensichtlich erboste Vater mit einer geballten Faust. Diese prasselte auf ihn ein wie der Novemberregen auf die gefegten Bürgersteige.
    Der Vater starb ein Jahr später. Er hinterließ Geld, seine Frau, den Jungen und eine Leere, die es zu füllen gab. Die Mutter, eine selbstsüchtige und elegante Frau, unterhielt zahlreiche Liebhaber, und für den Jungen wurden die Jahre zu Jahrzehnten, die Phantasien zu Falten, und er liebte seine Mutter, so wie jemand einen anderen liebt, der diese Liebe niemals im selben Ausmaß erwidern kann.
    Der Junge wurde zum jungen Mann und gab erst viele Jahre später zu, dass er sich während seiner Studienjahre oft betrunken hatte. Diese Jahre des Studierens waren «seine» Jahre, fernab von der Mutter, die wegen ihres spanischen Liebhabers ihre Winter in Barcelona verbrachte, fernab von dem Grab des Vaters, das er nicht besuchte, weil der Schmerz tief saß, und nah bei den anderen, die es doch auch schafften. So quälte er sich durch die Jahre. So quälte er sich an der Universität. Um etwas zu werden, das er doch schon längst war: einsam, aber wohlhabend. Sein Studienfach wechselte er dreimal, schließlich bestand er die medizinische Abschlussprüfung und wollte nicht nach Hause. Er wollte nicht dorthin zurück, wo die Vergangenheit auf dem Friedhof und die Zukunft nur darin lag, seine Mutter durch den verregneten Sommer zu begleiten. Er fuhr gen Norden, in das Krankenhaus einer Kleinstadt, die ihm etwas von Zuhause versprach. Wobei er nicht wusste, was das eigentlich sein sollte: Zuhause. Einen Ort, an dem man bleiben konnte oder bleiben wollte, kannte er nicht.
    Wann und wo der junge Mann seine erste Verliebtheit erlebte, erzählte er niemandem. Er behielt alles für sich, wie auch das Gefühl von Einsamkeit oder Übelkeit, die er nach den zahlreichen Gelagen seiner Studienfreunde empfand. Er konnte alles in sich aufnehmen, nur herauslassen konnte er es nicht. Das Geheimnis war sein bester Freund, die Verschwiegenheit machte ihn interessant. Vor allem vor sich selber. Er fing an, sich zu betrügen. Immerhin nur sich selbst. Später auch die anderen.
    In der Klinik fühlte er sich

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