Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Eltern, bei denen wir das Wochenende zum ersten Mal verbringen, haben uns mitgenommen. Sie kennen sich nun schon sooo lange und wollten mal etwas «Schönes» unternehmen.
Jetzt weiß ich auch, wo Dirk herkommt, und ich möchte hier niemals leben, genauso wenig, wie ich jemals so etwas «Schönes» wie Kino mit Eltern erleben wollte, ich mag keine Pärchen-Pärchen-Aktivitäten, vor allem nicht mit Eltern, weil ich dann immer Angst habe, ich könnte mich blamieren, was aber glücklicherweise diesmal nicht geschehen ist.
Jetzt liegen wir da, fast nackt, und ich finde Dirk so unglaublich sexy, und schön ist er, ein Traum von einem Mann, er ist attraktiv, klug und witzig. Er ist wirklich toll, auch meine Freundinnen haben heftig zustimmend genickt und etwas neidisch geguckt, als ich ihnen Dirk das erste Mal präsentiert habe. Und dieser umwerfende Typ hat doch tatsächlich gerade gesagt: «Ich möchte mit dir Sex machen.» Ich frage mich, wer denn in diesem Jahrzehnt, ja Jahrhundert, noch sagt, dass er/sie Sex «machen» will. Sex
macht
man doch nicht, den «hat» man – oder eben nicht. Das klingt so nach den Siebziger-Jahre-Aufklärungsfilmen:
Die Clique hat sich heute Nachmittag vor der Bushaltestelle getroffen. Hier verbringen sie gerne ihre freie Zeit. Ein Mädel aus der Clique, Gaby, hat sich in Joachim verliebt. Joachim kommt gerade auf seinem neuen Moped um die Ecke. Lässig raucht er eine «Fluppe» und begrüßt Gaby mit einem schüchternen Kuss. Joachim und Gaby verlassen die Gruppe bald und fahren zu Joachim nach Hause. Die beiden haben sich sehr gern und möchten jetzt das erste Mal «intim» werden, sie möchten den Beischlaf vollziehen, sie möchten,
und jetzt wird’s umgangssprachlich,
Sex machen .
Dirk sieht nicht aus wie aus den Siebzigern, er sieht überhaupt nicht nach einem Jahrzehnt aus. Er sieht einfach unglaublich gut aus. Er ist der schönste und schärfste Mann, mit dem ich je in einem Bett gelegen habe. Wenn ich ihn anschaue, denke ich: Der als Vater meiner Kinder, und meine Kinder wären schön, würden reich und berühmt werden … Dirk ist heiß, natürlich macht er mich an, selbstverständlich will ich Sex mit ihm! Aber dann sagt er diesen Satz: «Ich möchte mit dir Sex machen.» Das klingt so, als würde mich jemand fragen, ob ich mit ihm Kuchen backen möchte oder Rasen mähen gehe oder ihm mal kurz die Leiter halten könnte, weil es eine Glühbirne auszutauschen gibt. Aber es klingt definitiv nicht nach nacktem Körperkontakt, es klingt weder nach Zuneigungs-Kuschelsex noch nach dreckigem, tabulosem Rumgeficke. Es klingt nach Joachim und Gaby, es hört sich an, als wenn mein bester Freund David in Leopardenprint-Tanga vor mir steht und wissen will, ob mich das anmacht, weil er glaubt, ich würde die gesamte weibliche Menschheit repräsentieren. Das macht mich
nicht
an, das ist eher abturnend, das nimmt einem jegliches Lustgefühl, das ist wie dieser Moment, in dem Eltern ihren Kindern anhand von Banane und Kondom, das sie uncoolerweise auch noch als «Lümmeltüte» oder «Überzieher» bezeichnen, den geschützten Geschlechtsverkehr erklären.
Ich möchte keinen Sex «machen», ich will auch nicht in Immobilien
machen
oder rüber
machen
oder sonst irgendwas
machen
. Man
macht
ja auch keine Freunde, man
hat
Freunde! Man
macht
sich keine Depressionen, man
hat
Depressionen. Und wenn man keine Freunde, aber Depressionen hat, dann ist das scheiße.
«Ich möchte mit dir Sex machen», hat Dirk gesagt. Da hätte er auch «nageln», «rüberrutschen» oder das schöne Siebziger-Wort «bumsen» benutzen können, das käme aufs Gleiche raus. Wie kann ein so toller Mann nur auf die Idee kommen, so eine hässliche Phrase wie «Sex MACHEN » zu verwenden?! Alleine die Wörter «machen» und «haben» bedeuten etwas vollkommen anderes. Das eine Wort sagt: Ich produziere etwas, das andere meint: Da ist etwas, das ich bekommen, also haben möchte. Ich möchte etwas von Dirk bekommen, und das ist Sex. Ich will nicht, dass er Sex für mich produziert, so à la «Ich bin Produzent und bring dich ganz groß raus!».
Dirk hätte das auch anders sagen oder wenigstens überhaupt nichts sagen können. Und wir hätten uns einfach weiter ausgezogen und angefasst, und dann hätte sich schon irgendwie herauskristallisiert, ob hier jemand Sex HABEN will oder nicht. Ich meine, wir müssen ja auch keinen Sex haben, immerhin sind wir bei seinen Eltern zu Besuch, obwohl ich anmerken muss, dass das Bett sehr
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