Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Straßenecke. Kurt Tucholsky brachte zum Ausdruck, was die Mehrheit der Deutschen dachte: » Es ist wie in Monte Carlo, die Bank verliert nicht. Und wenn sie wirklich einmal verliert, springt der Steuerzahler ein. «
Die konservativen Regierungspolitiker der 30er Jahre versuchten gar nicht erst, dem eigenen Treiben eine tiefere Bedeutung anzudichten, und zogen sich in das Schneckenhaus ihrer selbst erzeugten Wirklichkeit zurück. Im Oktober 1929 begann in New York die Weltwirtschaftskrise ihren Sturmlauf. Fünf Monate später schon regierten die deutschen Kanzler, erst Brüning, dann von Papen und Schleicher, allesamt ohne Reichstagsmehrheit. Bankenrettung und Sozialkürzungen wurden in Deutschland ohne demokratische Legitimation ins Werk gesetzt.
Im Volk kochte es. Die Nazis, in den frühen 20er Jahren eine Splitterpartei mit einem hysterischen Derwisch als Anführer, in den späten 20er Jahren eine bereits in Vergessenheit geratene Rowdietruppe, konnten ihre Stimmenzahl bei den Reichstagswahlen des Jahres 1930 auf einmal verdoppeln. 1932 wurde erneut gewählt – und erneut verdoppelten die Nazis ihre Stimmenanzahl. Zwischen 1928 und 1932 steigerte die Hitler-Partei ihren Stimmenanteil von lächerlichen zwei auf imposante 38 Prozent. Die Nationalsozialisten marschierten vor aller Augen mit Siebenmeilenstiefeln auf das Machtzentrum zu. Ihre Marschmusik war aus jenen Misstönen komponiert, die der Kapitalismus ständig hervorbrachte.
Dieses Wirtschaftssystem hatte sich in einem furiosen Finale selbst zugrunde gerichtet, nicht nur in Deutschland. Das Todesurteil lautete auf » unbarmherzig und uneffektiv « . Die Krise hatte alle Schwächen offengelegt. Bilanzbetrug und Insidergeschäfte bildeten die Regel, nicht die Ausnahme jener Zeit. Der Geschäftsführer der Danatbank, ein gewisser Jakob Goldschmidt, saß in 123 Aufsichtsräten. In den USA dominierten, wie eine Studie von Adolf A. Berle zeigte, 600 Unternehmen zwei Drittel der Industrie, derweil zehn Millionen Kleinunternehmer immer stärker zum Spielball der Mächtigen wurden. » Wohlstand für alle « , das spätere Motto von Wirtschaftswundermann Ludwig Erhard, war damals ein Traum, den keiner zu träumen wagte. Die Feinde des Massenwohlstandes, so musste es scheinen, hatten überall im Westen die Feldherrenhügel erklommen.
Es war zu jener trostlosen Zeit, als einem arbeitslos gewordenen Heizgeräteverkäufer aus Philadelphia, Charles Darrow sein Name, ein Brettspiel in die Hände fiel. Es hieß in früheren Versionen » Finanzen « und » Inflation « . Es ging darum, möglichst alle Straßenzüge zu besitzen und mit eigenen Immobilien zu besetzen. Dann sollte man die anderen Mitspieler in den Ruin treiben. Man konnte binnen weniger Stunden bettelarm oder steinreich werden.
In Ermangelung eines Jobs machte sich Darrow daran, das nur unter der Hand erhältliche Spiel zu vermarkten. Er kratzte seine letzten Ersparnisse zusammen und ließ 5000 Spiele herstellen, die im Handumdrehen verkauft waren. Den Namen des Spieles hatte er dem Zeitgeist abgelauscht: » Monopoly « .
Um es kurz zu machen: Der Mann wurde zum ersten Millionär der sich entwickelnden Spieleindustrie. Sein » Monopoly « , die spielerische Beherrschung des in Wahrheit unbezwingbaren Monopolkapitalismus, entwickelte sich in der Mitte der 30er Jahre zum beliebtesten Gesellschaftsspiel der USA – und schließlich der Welt. » Monopoly « wurde bis heute 250 Millionen Mal verkauft, so viel wie kein anderes Spiel. Es gibt mittlerweile mehr aus Plastik oder Holz gefertigte Monopolyhäuser als echte Häuser auf der Welt. In diesem Spiel lebt die Erinnerung an das Schlusskapitel des Kapitalismus bis heute fort.
Hitler, Roosevelt und der »vergessene Mann«
Heute feiern wir Ludwig Erhard und seinen Ideengeber Alfred Müller-Armack als die Väter der Sozialen Marktwirtschaft. Wir tun das nicht, weil das die ganze Wahrheit ist, sondern weil es der Teil der Wahrheit ist, mit dem ein Deutscher am besten leben kann.
Zum anderen Teil der Wahrheit gehört die Erkenntnis, dass es Hitler und Roosevelt waren, die dem Kapitalismus das Wölfische austrieben. Es war nicht ihr Ziel, als sie antraten, aber es war ihre historische Mission. Als sie ins Amt kamen, war das bisherige System an sein Ende gekommen und riss alle, die sich nicht schnell genug von ihm lossagten – Parteien und Politiker –, in den Abgrund. Roosevelt und Hitler hatten keine andere Chance, als einen ökonomischen Neustart zu wagen –
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