Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
nichts als Verachtung übrig, auch wenn das Volk es so deutlich nicht formulieren würde. Aber es handelt genau so. Nur unter Androhung von Folter und Arbeitslager – wie in Nord-Korea und auf Kuba – gelingt es den Wohlstandsvernichtern, sich im Sattel zu halten, aber wo immer sich dem Volk die Chance bietet, diesen Versagertypus loszuwerden, in Russland, der DDR und neuerdings auch in der arabischen Welt, hat man sich ihm entledigt.
Die Tatsache, dass im Deutschland der 30er Jahre die Wohlstandsfeinde zugleich auch Demokraten waren, wurde ihnen nicht als mildernder Umstand angerechnet. Das war ihr Pech und erwies sich für die Gesellschaft am Ende als eine große Tragik. Aber es änderte nichts am Sachverhalt: Parteien, die das Wohlstandsversprechen nicht mehr glaubwürdig in sich trugen, wurden abgewählt.
Später schaute man sogar tatenlos zu, wie sie vertrieben, verfolgt und vernichtet wurden. Sozialdemokraten, Liberale und konservative Politiker standen in den Augen vieler Bürger als Versager da. Das rechtfertigte nicht das Vorgehen von SA und SS , aber es erleichterte den Schlägertruppen das Geschäft. Die Bürger krümmten für diesen Politikertypus keinen Finger. Die Mehrzahl der Deutschen war in dieser frühen Morgenstunde des Dritten Reiches keine Schar von Mitläufern, wohl aber ein Heer von Beiseitestehern und Wegguckern.
Die alles entscheidende Frage war nicht: Wer rettet die Demokratie oder wer rettet Deutschland? Die alles entscheidende Frage war: Wer rettet den Wohlstand? Wer würde in der Lage sein, die Bürger vor dem Wölfischen des Kapitalismus zu beschützen? Man muss heute nur auf die Protestplakate schauen, die von den Arbeitslosen der Depressionsjahre in die Kameras der Fotografen gehalten wurden, um ihre Gemütslage zu verstehen: » Wir wollen Bürger sein, nicht Durchreisende « , stand da zu lesen. Oder: » Befreit uns vom Hunger. « Oder: » Warum könnt ihr uns keine Arbeit geben? «
Die SPD jedenfalls besaß in den Augen ihrer einstigen Unterstützer auf diese Fragen keine erfolgversprechenden Antworten. Obwohl die Sozialdemokratie am ehesten berufen war, die Führung zu übernehmen und wie ihre Brüder und Schwestern in den USA , dem kapitalistischen System das Brutale auszutreiben, hat sie dramatisch versagt. Der SPD -Kanzler Hermann Müller, der drei Jahre vor Hitlers Machtergreifung seinen Auftritt hatte, war keiner, der den Kapitalismus zu bändigen vermochte. Ja, er hat es nicht einmal versucht. Er trug sich – anders, als man das von ihm hätte erwarten müssen – ins Geschichtsbuch mit der famosen Idee ein, die Beiträge zur Arbeitslosenunterstützung zu erhöhen und damit den Lohn der Arbeiter zu schmälern. Diese Gürtel-enger-Politik konnten andere besser, weshalb Müller schließlich die parlamentarische Mehrheit verlor. Seine Hoffnung, der Reichspräsident werde ihn per Notverordnungsrecht im Amt halten, erfüllte sich nicht. Müller stürzte, und die demokratische Linke hatte mit ihm mehr als nur einen Kanzler verloren. Das Vertrauen in ihre Fähigkeit, der Krise Herr zu werden, hatte sich im Nichts aufgelöst. Wenn das Scheitern der SPD einen Namen besitzt, dann heißt er nicht Adolf Hitler, sondern Hermann Müller.
Zu Recht schämt sich die SPD noch immer, dass dieser Sohn eines Spirituosenfabrikanten aus Mannheim, der der letzte Reichskanzler war, der ohne Notverordnungen und mit demokratischer Legitimation hätte regieren können, seine Chance nicht nutzte. Bis heute wird der Name Müller auf Parteitagen und Gedenkfeierlichkeiten der SPD schamhaft verschwiegen. Er war der letzte Mann des demokratischen Deutschlands, ein »Last Man Standing«. Aber er stand nicht, als er hätte stehen müssen.
Die Bürger, auch die deutschen Bürger, wollten in ihrer übergroßen Mehrheit nicht Terror, Konzentrationslager und Weltkrieg, sie wollten Stabilität, Normalität, Ordnung und, ja, auch das: Arbeit und Gerechtigkeit. Der Kapitalismus konnte nichts von all dem gewähren. Und die demokratischen Politiker in Deutschland waren nicht willens oder nicht in der Lage, dieses System zu domestizieren.
Das Wort » systemrelevant « war noch nicht erfunden, aber natürlich versuchten auch die Gelehrten der damaligen Zeit, die Ungleichbehandlung von Bürgern und Banken mit der herausragenden Bedeutung der Finanzwelt für die Gesamtwelt zu erklären. Diese Erklärungen aber leuchteten schon damals niemandem ein. Der Bürger war mindestens so systemrelevant wie die Bank an der
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