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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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mit mehr Staat, auch mehr Sozialstaat, mit mehr Schulden und einem Durchgriff auf die Privatwirtschaft, wie es ihn bis dahin nirgendwo im Westen gegeben hatte.
    Es kam in den folgenden Jahren zur Umkehr der Machtverhältnisse. Die Politik in Deutschland und den Vereinigten Staaten feierte in der ersten Hälfte der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts ihren Triumph über die Wirtschaft. Der Primat der Politik wurde nun – erstmals seit Beginn der Industrialisierung – Wirklichkeit. Der Kapitalismus hatte mehr als nur eine Schlacht verloren. Und die Männer, die ihm die Kapitulationsurkunde in die Hand drückten, hießen Hitler und Roosevelt.
    Beide wiesen biografische Unterschiede auf, die größer kaum sein können: Hitler war ungebildet und mittellos, er verließ die Realschule ohne Abschluss, besaß keinen Beruf und suchte auch keinen. Mit Gelegenheitsarbeiten und langen Phasen des Nichtstuns schlug er sich durchs Leben. Eine Familie hat er nie gegründet. Geregeltes Arbeiten fiel ihm schwer, auch nachdem er als Reichskanzler und oberster Befehlshaber der Wehrmacht in der Verantwortung stand. Kabinettssitzungen ließ er oft ausfallen, zunächst unregelmäßig, später jahrelang.
    Roosevelt dagegen stammte aus einer wohlhabenden New Yorker Familie. Er absolvierte erst in Harvard und dann an der Columbia University in New York ein Jurastudium, heirate mit 23 Jahren und zeugte mit Frau Eleanor sechs Kinder, fünf Söhne und ein Mädchen. Mit 46 übernahm er Verantwortung als Gouverneur von New York, wo er das Administrieren, Regieren und Finassieren von der Pike auf lernte. Das Vermögen, das er seinen Kindern hinterließ, betrug zu heutigen Preisen rund 60 Millionen Dollar. Seine Gesinnung war liberal, humanistisch und demokratisch. Er war den Menschen zugetan.
    Auch im persönlichen Auftritt unterschieden sich die beiden sehr. Hitler redete laut, schnell und erregt, am liebsten benutzte er grobes Vokabular. » Vernichten « , » ausrotten « , » ausmerzen « , das waren seine Worte. Er war zudem ein großer Schwafler. Seine Reden konnten gut und gerne bis zu zweieinhalb Stunden dauern.
    Roosevelt sprach sanft, prägnant und einfühlsam. Derweil Hitler Angst verbreitete, verströmte er Vertrauen.
    Höchst unterschiedlich war auch ihr Umgang mit politischen Gegnern. Hitler hetzte, wo er ging und stand. Auch innerhalb der Partei ließ er morden. Flügelkämpfe unter dem Dach der NSDAP wurden mit Hilfe von Killerkommandos beendet.
    Roosevelt hingegen umarmte den politischen Gegner. Am liebsten präsentierte er sich als der große Unparteiische. Seine wiederkehrende Redewendung lautete schon vor der ersten von insgesamt vier gewonnenen Präsidentenwahlen: Die momentane Lage der Nation sei zu ernst, um sie durch die Brille der Parteipolitik zu betrachten. Der Deutsche hingegen war der exakt entgegengesetzten Meinung: Die Lage sei zu ernst, um noch Rücksicht auf andere zu nehmen.
    Für die Evolutionsgeschichte der westlichen Wirtschaftssysteme aber sind die Unterschiede weniger bedeutsam als die Gemeinsamkeiten. Und davon gab es reichlich, auch wenn es heute als unschicklich gilt, diese herauszustellen. Aber über das Verbindende zwischen Hitler und Roosevelt zu reden, hilft, die Epochenwende zu verstehen. Denn der Kapitalismus traditioneller Prägung verstarb in Deutschland und Amerika zur selben Stunde, und in derselben historischen Minute erhob eine Marktwirtschaft neuen Typs das Haupt, in der die Staatlichkeit eine neue, eine größere Aufgabe übertragen bekam.
    Die Ähnlichkeit der Regierungschefs Hitler und Roosevelt beginnt schon mit der Dauer ihrer Regierungszeiten. Sie kamen beide in den ersten Monaten des Jahres 1933 ins Amt, beide hielten es dort trotz ihrer körperlichen Gebrechen bis zum Jahr 1945 aus. Hitler war zunehmend von der Erfolglosigkeit seiner Kriegsführung gezeichnet, nervenkrank, depressiv, wahrscheinlich tablettensüchtig. Roosevelt kämpfte mit den Folgen einer Polioerkrankung, blieb zuletzt immer häufiger an den Rollstuhl gefesselt.
    Roosevelt starb am 12. April durch eine Gehirnblutung, Hitler jagte sich 18 Tage später eine Kugel in den Kopf. Der eine konnte seinen Triumph über Hitler-Deutschland nicht mehr erleben, so wie der andere an der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht nicht mehr teilnahm.
    In zentralen Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik – und das waren für beide die zunächst entscheidenden Felder der Bewährung – waren sie Brüder im

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