Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Börsenkrach, Massenarbeitslosigkeit, Krieg – hat das Land transformiert. Das Nachkriegsamerika war nicht nur internationaler und mächtiger. Es war zugleich sozialer und warmherziger gegenüber den eigenen Landsleuten.
In Deutschland fand der Bruch mit dem Kapitalismus zwar vor dem Krieg statt. Die wirkliche Domestizierung aber gelang erst nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie. Nun erst wurde das Wirtschaftssystem dem Menschen dienlich gemacht. Die Deutschen durften jetzt mitverdienen, und, das war neu, sie durften nun auch mitentscheiden. Die Freiheit hielt Einzug.
Kapitel 3 – Wohlstand. Die »Stunde Null« der Marktwirtschaft
Ein deutscher Glücksfall: Ludwig Erhard betritt die Bühne. +++ Arbeit und Kapital, Markt und Staat: Das neue System der » Sozialen Marktwirtschaft « beruht auf dem Aushalten von Widersprüchen. +++ Der Kennedy-Mord bringt auch in den USA den Sozialstaat zum Blühen; der amerikanische Erhard heißt Lyndon B. Johnson.
Ludwig Erhard und das Versprechen vom kleinen Lebensglück
Das Wundersamste am deutschen Wirtschaftswunder war die Tatsache, dass ein Mensch wie Ludwig Erhard sich überhaupt durchsetzen konnte. Nichts deutete zunächst darauf hin, dass dieser beleibte Herr aus Bayern, ein schwer verletzter Artillerist aus dem Ersten Weltkrieg, zum Zeremonienmeister der neuen Zeit werden sollte. Der Mann, der für das deutsche Wirtschaftsleben eine prägende, man muss sogar sagen, eine ordnungsverändernde Kraft entfaltet hat, stand jahrzehntelang im Schatten der Ereignisse. Er machte zunächst auch nicht die geringsten Anstalten, aus ihm herauszutreten.
Ein Theoretiker war er nicht. Alles, was Erhard an ökonomischen Erkenntnissen von sich gab, war zuvor von anderen gedacht, geschrieben und gesagt worden. Den Terminus » Soziale Marktwirtschaft « kupferte er vom Wirtschaftstheoretiker Alfred Müller-Armack ab. Auch den erfolgreichen Buchtitel und späteren Wahlkampfslogan » Wohlstand für alle « hat er sich nicht selbst ausgedacht. Beim Abfassen des Klassikers ging ihm Wolfram Langer, der Bonner Korrespondent des seit 1946 in Düsseldorf erscheinenden » Handelsblatt « , zur Hand, der später sein Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wurde.
Als Geschäftsmann, da hilft keine Beschönigung, war Erhard ein Totalausfall. 1925 hatte er die Führung des von Vater Wilhelm Philipp gegründeten Textilwarenladens übernommen. Doch schon 1928, also auf dem Höhepunkt der »Goldenen 20er Jahre« und etliche Monate vom » Schwarzen Freitag « entfernt, ging Erhard junior die Puste aus. Er musste Konkurs anmelden. In der heutigen Zeit würde man ihn einen » Pleitier « nennen.
Einen zweiten Anlauf als Selbständiger hat er nie unternommen. All die Tugenden, die er der Jugend später empfahl – unternehmerischer Elan, Entdeckerlust und überhaupt das Pionierhafte –, sucht man bei ihm vergeblich. Erhard flüchtete, kaum dass sein Unternehmerdasein beendet war, in den warmen Schoß der Bürokratie, den er nie wieder verließ. Er wurde Hochschulassistent, später Leiter eines » Instituts für Wirtschaftsbeobachtung « , Honorarprofessor und Direktor der » Verwaltung für Wirtschaft « , bevor er zum Chef des bayerischen Wirtschaftsministeriums und später des Kanzleramtes aufstieg. Die » freie Wirtschaft « , von der er so schwärmerisch sprechen konnte, hat er gemieden wie die Katze den Dorfteich.
Mit der Politik verband ihn bis zu seiner Berufung als bayerischer Wirtschaftsminister im Jahr 1947 auch nicht viel. Er stand nie auf einem Wahlzettel, war weder Landtagsabgeordneter noch Bürgermeister, nicht einmal Ratsmitglied. Bis heute ist fraglich, ob Erhard, der spätere CDU -Vorsitzende und CDU -Kanzler, überhaupt ein gültiges Parteibuch besaß. Die entsprechenden Unterlagen fehlen in der Registratur.
Man tritt Erhard nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass er die Schreibtischarbeit nicht erfunden hat. Er war unermüdlich auf seine Weise, aber das Aktenstudium lag ihm nicht. Schon Mitarbeiterbesprechungen waren ihm ein Gräuel. Lieber hielt er gepfefferte Reden über die Marktwirtschaft und ihre Feinde. Kanzler Adenauer ermahnte ihn mehrfach und einmal sogar schriftlich, seine Vortragsreisen etwas einzuschränken und sich lieber um die Effizienz seines Ministeriums zu kümmern. Vergeblich!
Erhards wohlmeinende Biografen erklären diese Scheu vor der Schreibtischarbeit mit Prinzipientreue. Ihm habe halt der Glaube an die segensreiche Wirkung von Planungsprozessen
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