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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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gefehlt. Deshalb habe er sich ihnen nicht unterwerfen wollen. So milde kann die Geschichtsschreibung sein, wenn es darum geht, die Geschichte von Gewinnern zu erzählen.
    Und ein Gewinn war er, dieser kauzige Mann, der bis zu 20 Zigarren am Tag qualmte. Erhard war sogar mehr als das, er war ein Segen für Deutschland. Nach dem großen Wohlstandsvernichter Hitler trat hier ein Mann auf die Bühne, der das Beste in den Menschen zutage förderte, der sie zur Arbeit stimulierte, zur Leistung anregte und sie in den Grundrechenarten der Marktwirtschaft unterrichtete. Erhard war Volkserzieher, Menschenfreund und Wohlstandsvermehrer in einem. Die Geschichte des Wohlstandes lässt sich ohne ihn nicht erzählen.
    Erst in seiner Amtszeit gingen die beiden Worte » Wirtschaft « und » Wohlstand « eine dauerhafte Beziehung miteinander ein. Erhard war das Beste, was den Deutschen seit der Reichsgründung 1871 passiert war.
    Womöglich gelang ihm der Durchmarsch an die Spitze des Staates auch deshalb, weil es an Konkurrenten mangelte. Der Wettbewerb der Talente war durch den Krieg, die Vernichtung und Vertreibung der deutschen Juden und die Verstrickung der übrig gebliebenen Eliten in die Nazidiktatur mehr als nur eingeschränkt. In den Jahren 1945/46/47 herrschte intellektuelle Mangelwirtschaft.
    Zugleich schien die Aufgabe des wirtschaftlichen Wiederaufbaus alles andere als verlockend. Während heute um jeden Vorstands- und Ministerposten hart gerungen wird, gab es damals niemanden, der sich danach drängte, die deutsche Wirtschaft wieder aufzurichten. Welch Wunder, galten doch 40 Prozent aller Häuser im ersten Nachkriegsjahr als unbewohnbar. Die Industrieanlagen brachten nur noch einen Bruchteil ihres Warenausstoßes aus der Vorkriegszeit. Der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Wirtschaftskraft war in Folge dessen von knapp zehn Prozent zu Zeiten der Weimarer Republik wieder auf knapp 25 Prozent gestiegen. Auf den Bauernhöfen versammelten sich die Hungrigen und die Arbeitslosen, die Umgesiedelten und die Vertriebenen.
    Das Bildungsbürgertum stand – zum zweiten Mal innerhalb von nur 25 Jahren – mit leeren Händen da. Die Inflation hatte alle Geldvermögen vernichtet. Die Reichsmark war nicht wertvoller als ein paar Glasmurmeln, weshalb die Einzelhändler es nicht sehr eilig hatten, ihre Auslagen mit Wurst, Käse und Konserven zu bestücken. Viele Deutsche mussten in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit weniger als 1000 Kalorien pro Tag auskommen. Der Historiker Golo Mann sah seine Landsleute » im Zustand körperlicher Not und seelischer Betäubung « .
    Die Amerikaner und ihre Verbündeten setzten zunächst auf staatliche Planung, schon um alles unter Kontrolle zu behalten. Nichts lag ihnen ferner als ein Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft und damit die Rückkehr der Familien Thyssen, Krupp und Siemens an die Schaltstellen wirtschaftlicher Macht. Die Stichworte der neuen Zeit lauteten » Reparationszahlung « , » Demontage « und » Säuberung « und nicht » Aufschwung « , » Wohlstand « oder » Marktwirtschaft « .
    Man konnte in Berlin schon dankbar sein, dass sich US -Finanzminister Henry Morgenthau nicht durchgesetzt hatte, der Deutschland zurück ins Agrarzeitalter schicken wollte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte man die Industrieanlagen demontiert und die industriellen Fähigkeiten der Arbeiter – die an Rhein, Ruhr, Saar und Elbe ausgeprägter waren als anderswo auf der Welt – dem Vergessen anheimgegeben. Da die Deutschen eben noch mit ihren Fliegerstaffeln, U-Booten und Panzern die Welt in Angst und Schrecken versetzt hatten, sah Morgenthaus Plan für einen » groben Frieden « (harsh peace) auch die folgende Grobheit vor: Nie wieder sollte ein Deutscher ein Flugzeug starten und landen dürfen.
    Das Weiße Haus verhinderte das Inkrafttreten des Morgenthau-Plans. Aber die Probleme mussten nicht erst aus Amerika importiert werden, die Deutschen standen sich in der sogenannten Stunde Null selbst im Weg. Auf die großen politischen Parteien konnte ein Mann wie Erhard zunächst nicht bauen. Marktwirtschaft und Kapitalismus, das waren für CDU und SPD gleichermaßen verschiedene Werkzeuge aus ein und demselben Folterkasten. Ihnen stand in den ersten Nachkriegsjahren nicht der Sinn nach Wettbewerb und Selbstverantwortung, sondern nach Planung und Sozialismus. Im Zustand größter politscher Verwirrung riefen beide Volksparteien nach Verstaatlichung, die sie – um sich von den Sowjets wenigstens

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