Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
kampfeslustigen Selfmademan, der aus eigenem Recht und mit eigener Kraft der Zukunft entgegenreitet.
Die Welt der Antragsformulare und der Alimentation, die Kultur des Absicherns und Vorsorgens lehnt dieser Cowboy ab, bis, ja bis ihn das Schicksal von hinten anspringt und er plötzlich seinen Job verliert, er jeden Morgen zur Dialyse muss, ihn die Gicht plagt oder was das Leben sonst so an Widrigkeiten für uns bereithält. Dann nimmt derselbe Cowboy die Angebote des Sozialstaates mit der gleichen Routiniertheit in Anspruch, mit der er sie zuvor bekämpft hat.
Auch wenn mittlerweile beide Völker sich im Bedarfsfall in die Arme des Sozialstaats begeben: Die einen durchströmen dabei wohlige Gefühle. Die anderen sind sich selbst ein wenig fremd dabei. Der eine glaubt, erst das unter ihm gespannte Netz versetze ihn in die Lage, das Hochseil der herrschenden Wirtschaftsordnung betreten zu können. Der andere meint, das sozialstaatliche Grundmuster, das engmaschige Netz aus wechselseitigen Solidaritäten, schnüre ihm seine Freiheit ab. In der sozialen Ungleichheit sieht er nicht in erster Linie eine zu beseitigende Ungerechtigkeit, sondern einen ehrlichen Ausdruck unterschiedlicher Leistungskraft und oft auch den Willen Gottes. Der Amerikaner will seinen Staat nicht zu intensiv spüren. Ein penetranter Staat ist ihm zuwider. Aber beide, Deutsche und Amerikaner, sind in Empörung vereint, wenn einer es wagt, bei Renten oder Arbeitslosengeld den Rotstift anzusetzen.
Auch die Unternehmen in den Vereinigten Staaten sind mittlerweile dankbar, dass die Gesellschaft beim Lohn den Standard setzt, einen Standard, der auch für den Konkurrenten gilt. Man weiß es auch in Konzernkreisen zu schätzen, dass der Staat die Beschäftigten gegen Krankheit und Armut absichert. So muss man sich nicht selbst darum kümmern. Diese Vorzüge werden nicht öffentlich herausgestellt, das wäre zu viel verlangt. Aber wenn die Unternehmer unter sich sprechen, kommt es zur Anerkennung der herrschenden Zustände.
Die Wahlerfolge sprechen eine deutliche Sprache über das wahre Ansehen der Sozialpolitik beiderseits des Atlantiks. In der Stille der Wahlkabine können wir hören, was die Völker wirklich denken. Als der deutsche Kanzler Konrad Adenauer aus dem Nichts eine staatliche Rentenversicherung schuf, die jedem eine Altersabsicherung nahezu in der Höhe seines letzten Lohnes versprach, fuhr er das beste Wahlergebnis der deutschen Geschichte ein. Er eroberte, was seine Partei danach nie mehr eroberte: die absolute Mehrheit der Stimmen und wahrscheinlich auch der Herzen.
Roosevelt hat die aphrodisierende Wirkung von staatlicher Großzügigkeit ebenfalls am eigenen Leib erfahren. Viermal wurde er gewählt, seine Mehrheiten waren über jeden Zweifel erhaben. In den Hinterköpfen von Millionen von Amerikanern ist für ihn noch immer ein kleiner Altarraum eingerichtet, in dem das ewige Licht leuchtet.
Den Beliebtheitsrekord der Mächtigen aber entschied Johnson für sich. Kein Reagan, kein Clinton und kein Obama können ihm das Wasser reichen. Ihn wählten 15 Millionen mehr Menschen als zwei Jahre zuvor den Medienliebling JFK . Und ihn wählten 17 Millionen mehr als seinen Gegenkandidaten Barry Goldwater, der ein würdiger Herausforderer war, weil er in allen Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik für das genaue Gegenteil eintrat. Er war der letzte Präsidentschaftskandidat, der für die Wiedereinführung des Wolfskapitalismus warb. Plädierte Johnson für Mitgefühl, stand Goldwater für Härte, wollte der Demokrat den Sozialstaat ausbauen, hätte der Republikaner ihn am liebsten abgerissen. Der eine hielt den Kapitalismus für ungenießbar, der andere für eine amerikanische Errungenschaft, die man unbedingt reanimieren sollte. » Ich biete eine Alternative, kein Echo « , pflegte Goldwater zu sagen.
Johnson hat sich später dann selbst aus dem Altarraum der guten Erinnerungen verbannt, weil er neben Festigung und Ausbau des amerikanischen Sozialstaats einen unverzeihlichen Frevel beging: Er stürzte Amerika in das Vietnam-Abenteuer, das mit dem Tod von Zehntausenden Amerikanern und einem nationalen Trauma endete. Hatte Vorgänger Kennedy erst einen Fuß in das kleine asiatische Land gesetzt, drückte Johnson gleich die Haustür ein. Am Ende seiner Amtszeit waren aus Kennedys 15 000 Militärbeobachtern rund 550 000 kämpfende Soldaten geworden. Dörfer wurden niedergebrannt, der Dschungel mit Chemiewaffen entlaubt, Massaker
Weitere Kostenlose Bücher