Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Fabriken sank. Der Volksmund drückte den Sachverhalt schließlich so aus: » Sie tun so, als ob sie uns bezahlen, und wir tun so, als ob wir arbeiten. «
Der Nachweis war historisch erbracht: Die Planwirtschaften erwiesen sich als unfähig, die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen. Sie konnten alles außer Wohlstand. Schneller als die anderen bisher abgehandelten Systeme – Feudalismus und Kapitalismus – zerfielen sie wieder zu Staub. Die Sowjetunion überlebte ihr eigenes System keine 75 Jahre.
Lyndon B. Johnson und Amerikas Weg zum Sozialstaat
Auch in den USA kam es zur Zähmung des Kapitalismus. Obwohl das Wolfshafte nie ganz aus seinem Charakter verschwand, war das neue Wirtschaftssystem, das in den Vorkriegsjahren entstand und danach expandierte, deutlich humaner als sein Vorfahre.
Noch immer fiel ein amerikanischer Arbeiter tief, der seinen Job verlor. Aber er fiel, dank des » New Deal « von Roosevelt, nicht mehr ins Bodenlose. Noch immer war es ein unerhörtes Privileg, die Police einer Krankenversicherung zu besitzen, aber ganze Bevölkerungsgruppen, etwa die Arbeiter der großen Industriekonzerne und fast alle amerikanischen Rentner, besaßen sie bald. Die Macht der Unternehmer war noch immer von großer Durchschlagskraft, aber Alleinherrscher waren sie nicht mehr. Die Gewerkschaften traten aus dem Schatten in das Licht der Geschichte. Der Wohlstand, auch wenn er oft nur ein bescheidener war, schaute auch im Leben der einfachen Menschen vorbei.
Zwei Präsidenten stehen für die Zähmung des Kapitalismus: Neben dem bereits behandelten Roosevelt war es der heute von vielen vergessene Lyndon B. Johnson, der nahezu zeitgleich mit Ludwig Erhard seinen Einsatz hatte.
Johnson war anders als Erhard kein Mann der öffentlichen Verwaltung, sondern ein politischer Aktivist. Er wurde im Jahr 1908 in Texas geboren, unweit des von seinen Vorfahren gegründeten Örtchens Johnson City. Dort gab es zu jener Zeit mehr arme Teufel als Rinder. Den Aufschwung Amerikas kannte man in den ländlichen Gegenden des Südens nur vom Hörensagen. Die » Goldenen 20er « hatten ihren Weg von den Glitzerstädten mit ihren Hochhauskathedralen nicht bis in die Provinz gefunden.
Johnson kannte beide Welten, das glamouröse Amerika der Küstenregionen und dazwischen das Land der begrenzten Möglichkeiten. Er wollte sich mit der großen Kluft, die zwischen ihnen lag, nicht abfinden. In den USA der 30er Jahre wurde er Demokrat, ein Roosevelt-Demokrat, ein New Dealer vom Scheitel bis zur Sohle. Er besuchte als junger Mann ein College für Lehrer und unterrichtete die Kinder mexikanischer Einwanderer, die von allen Armen die Ärmsten waren.
Wenn es ein Erweckungserlebnis in seinem Leben gab, dann war es der Aufstieg Roosevelts, den der damals 25-jährige Johnson zunächst mit heißem Herzen am Radio verfolgte. Er besuchte Parteiversammlungen, und es dauerte nicht lange, da wurde der gerade 27-Jährige zum Direktor der National Youth Administration ernannt, die sich im Rahmen der unzähligen New-Deal-Behörden um Jobs für junge Leute kümmerte.
Dass ein Mann wie Roosevelt derart einfühlsam über Menschen sprach, die nicht auf der Gewinnerseite des Lebens standen, war für Johnson eine neue politische Erfahrung. Dass da jemand war, der die Verlierer der amerikanischen Winner-takes-it-all-Society ins Zentrum des politischen Geschehens rückte, war eine Sensation. » Warum beten wir zu ökonomischen Gesetzen, die Menschen hungern lassen? Wir müssen uns klar darüber werden, dass ökonomische Gesetze keine Naturgesetze sind, sondern von Menschen gemacht. « So redete Roosevelt. So dachte Johnson.
Das war für eine ganze Generation amerikanischer Politiker der Weckruf. Alle, die sich für den schnöden Machtpoker der Washingtoner Politik nur mäßig interessierten, strömten nun in die öffentliche Arena. Politik hatte mit dem Sozialen, dem Sich-Kümmern und Ausgleich-Schaffen, dem Organisieren von Chancen, Bildung und Umverteilung ein gänzliches neues Thema entdeckt. Mit der Folge: Ein neuer Typus Politiker machte sich auf den Weg nach Washington.
Johnson war einer von ihnen. Er empfand die Konzentration auf die Sozialpolitik keineswegs als Verengung, sondern als Erweiterung des politischen Aktionsradius. Als er 1960 innerhalb der eigenen Partei gegen den gut aussehenden und aristokratisch auftretenden Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy antrat, verlor er zwar. Aber: Sein Ruf als Sozialpolitiker mit
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