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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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verlangsamte sich. Das Loch im Staatshaushalt wuchs.
    Ein böser Verdacht kam auf: Der zur Marktwirtschaft domestizierte Kapitalismus, so hörte man die Gelehrten tuscheln, könne auf Dauer nicht die gleiche Dynamik entfalten wie sein wölfischer Vorfahre. Gewiss sei das neue System warmherziger und damit liebenswerter als das vorherige. Aber in Amerika wird immer auch in harter Währung abgerechnet. Und bei Wirtschaftswachstum, Einkommenszuwächsen, Geldwertstabilität und Unternehmergewinnen hatte die Marktwirtschaft plötzlich Lieferschwierigkeiten.
    Gemeinhin wird behauptet, mit den finanziellen Ausgaben für Vietnamkrieg und Great Society habe sich das Land verhoben. Aber das ist zu flach geschürft. Es war nicht die finanzielle Doppelbelastung von Militäreinsatz und Sozialstaatsoffensive, sondern die Unfähigkeit, auf beides angemessen zu reagieren. Steuererhöhungen, sanfte Korrekturen an den Sozialprogrammen, ein Inne- und Maßhalten der Gesellschaft hätten das, was nun kam, verhindern können. Doch zu einer derartigen Anpassungsleistung war man nicht in der Lage. Die Mittelschicht klammerte sich an die Sozialleistungen, die in wachsendem Umfang nun auch ihr zugutekamen, so wie die Reichen nicht von ihren Steuerprivilegien lassen wollten. Das Erhard’sche Wort vom » Maßhalten « hat man offenbar vergessen, ins Amerikanische zu übersetzen. Der gemeinsame Nenner der Gesellschaft war ein trotziges, bis heute anhaltendes Weiter-So.
    An politischer Führung hat es in diesem Fall nicht gemangelt. Ein demokratischer und ein republikanischer Präsident versuchten, ihr Land auf die Zeit abflachender Wachstumsraten einzustimmen. Beide scheiterten, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise.
    Als Jimmy Carter am 15. Juli 1979 nach dreijähriger Amtszeit seine sogenannte Malaise Speech hielt, hatten sich seine Wiederwahlchancen noch in derselben Nacht verflüchtigt. Er sagte lauter richtige Dinge, aber der Ton war für amerikanische Ohren zu weinerlich. So klangen Verlierer.
    » Die Herausforderung ist nahezu unsichtbar « , eröffnete Jimmy Carter seine TV -Ansprache, für deren Vorbereitung er sich zehn Tage in die Einsamkeit von Camp David zurückgezogen hatte. Die Erosion von Vertrauen bedrohe den sozialen und politischen Zusammenhalt Amerikas: » Zu viele von uns haben sich der Selbstliebe und dem Konsum verschrieben. Menschliche Identität ist nicht länger definiert durch das, was jemand tut, sondern durch das, was er besitzt. « Er sprach von » innerer Leere « und davon, dass die » Produktivität der amerikanischen Arbeiter gefallen ist « . Im Gegenzug sei der » Wille, Zukunft zu gestalten «, geschrumpft. Carter schloss mit den Worten: » Dies ist keine fröhliche Botschaft, aber es ist die Wahrheit, und es ist eine Warnung. «
    Der Demokrat hatte gehofft, mit dieser Ruckrede ein Mandat zur Erneuerung Amerikas zu erhalten. Aber das Volk wandte sich von ihm ab. Einen Präsidenten mit depressiven Anwandlungen konnte man nicht brauchen. Die Malaise-Rede besiegelte Carters politisches Schicksal.
    Fortan führte eine schlecht gelaunte Nation ein Leben auf Kreditkarte. Die Importsucht nahm zu. Von Arbeit und Anstrengung hatte man auf Konsum und Kredit umgeschaltet, von Ehrgeiz auf Selbstgenügsamkeit, von Bildung auf Einbildung, von Export auf Import, womit der Aufstieg der Finanzgrößen von der Wall Street begann. Denn sie boten den die Stimmung aufhellenden Ersatzwirkstoff zu den bisher im Export verdienten Billionen. Sie waren in der Lage, jene Wohlstandsillusion zu erzeugen, mit der die Politiker nun in die Wahlkämpfe zogen.
    Karl Marx hat in seiner 1844 veröffentlichen Religionskritik geschrieben: » Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes. « Die neue Religion der Amerikaner aber war der Glaube an die Segnungen eines schuldenfinanzierten Wachstums, das im Vorgriff auf späteres Wachstum sich von selbst bezahlen würde. Das neue Opium hieß Kredit. Der Religionsbegründer war John Maynard Keynes.
    Doch damals hätte niemand diese Analogie akzeptiert. Die Gläubigen glaubten, die Umstellung von Exportwirtschaft auf Kreditwirtschaft sei das Gebot der Geschichte, der Vernunft und des Fortschritts.
    Die Vorarbeiten auf der Währungsseite waren seit Beginn der 70er Jahre weit gediehen. Nach dem 1973 erfolgten Abschied vom Goldstandard – bis dahin garantierte die US -Notenbank für

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