Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Familieneinkommen in allen Bevölkerungsschichten nahezu gleich schnell, mit leichtem Vorteil für die Einkommen der Armen. Das unterste Fünftel der US -Gesellschaft legte um 120 Prozent zu, das zweite Fünftel um 101 Prozent, das dritte Fünftel um 107 Prozent, das vierte Fünftel um 114 Prozent, und das letzte Fünftel wuchs nur um 94 Prozent. Das entsprach dem » amerikanischen Traum « . Das war die dortige Version von Erhards » Wohlstand für alle « .
Dann aber drehte sich der Trend. Die weltweiten Handelsströme änderten ihre Laufrichtung. Die Direktinvestitionen der US -Firmen, die bis dahin nahezu im Gleichklang mit den Exporten gewachsen waren, stiegen deutlich steiler an. Der Grund für diese Drift: Bis dahin dienten die Investitionen im Ausland fast ausschließlich der Exportförderung, nun aber begann die Verlagerung der Fabrikarbeit. Die globale Produktion wuchs zwischen 1985 und 1995 um gut 100 Prozent. Die im Ausland getätigten Direktinvestitionen der Amerikaner aber legten im gleichen Zeitraum um fast 500 Prozent zu. Mit dieser Wanderung des Produktionsfaktors Kapital begann auch der Produktionsfaktor Arbeit unruhig zu werden.
Die neuen Jobs entstanden nicht mehr in Amerika, sondern in Fernost und anderswo. Das konnte nicht ohne Rückwirkungen auf die Familieneinkommen in den Vereinigten Staaten bleiben. Innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte schrumpfte das Einkommen im untersten Fünftel um 1,4 Prozent, das zweite Fünftel legte immerhin noch um 6,2 Prozent zu, das dritte Fünftel wuchs um 11,1 Prozent, das vierte Fünftel um 19 Prozent, die Spitze der Pyramide, wo die Antreiber, die Vordenker und Profiteure der Globalisierung zu Hause sind, erzielte plötzlich Einkommenszuwächse von märchenhaften 42 Prozent.
Die Kommission misstraute ihren Zahlen. Denn Familieneinkommen setzen sich aus Löhnen, Aktien, Mieteinnahmen und Hausverkäufen zusammen. Wer nichts besitzt, kann auch keine Renditen erzielen. Also gingen die Experten daran, nur die Löhne zu betrachten. Erst jetzt wurde deutlich, was sich in Amerika wirklich ereignet hatte. Im unteren Drittel der Einkommenspyramide war es zur Teilentwertung der menschlichen Arbeitskraft gekommen. Bis in die 70er Jahre hinein wuchsen die Einkommen aller Gruppen gleichermaßen, bis dann von Beginn bis zur Mitte der 80er Jahre zuerst die Unterschicht spürbar absackte – minus 15 Prozent bei den Männern. Die Einkommen der Oberschicht stiegen im gleichen Zeitraum um zehn Prozent. Dann verlor auch die Mittelschicht den Halt. Ab 1985 rutschte ihr Lohnniveau ab, derweil die oberen Einkommen ab Mitte der 90er Jahre nochmals deutlich zulegen konnten. Seither tat sich nicht mehr viel. Arbeit und Armut bildeten nicht mehr länger ein Gegensatzpaar: Unten blieb unten, oben ist seither ganz oben. Die Mitte der Gesellschaft verwandelte sich in ein flüchtigeres Gebilde. Die Evolution der marktwirtschaftlichen Ordnung hatte erkennbar einen Schub gemacht. Doch wohin?
Der Unterschied zur Glanzzeit der amerikanischen Volkswirtschaft, als das Land Wohlstand für fast alle produzierte, war augenfällig: Bis in die 70er Jahre hinein glühte der produktive Kern des Landes derart intensiv, dass er in alle Welt ausstrahlte. Die USA lieferten Dollar und Waren in die entlegensten Regionen der Erde. Die Vereinigten Staaten waren für vier Jahrzehnte der größte Netto-Exporteur und der größte Geldverleiher der Welt. Amerika war das unumstrittene Kraftzentrum der Welt, von dem aus die Energieströme in alle Richtungen flossen. Aus diesen beeindruckenden, Respekt und auch Angst einflößenden USA bezog die westeuropäische Linke damals ihr Lebenselixier. » US -Imperialismus « war die polemische Beschreibung eines für Amerika erfreulichen Zustandes.
Diese über jeden Zweifel erhabenen USA gibt es seither nicht mehr. Die globale Mobilmachung des Kapitals, das Unruhigwerden der Fabriken führte zu einer Neuverteilung von Macht und Reichtum. Heute wird Nordamerika vom Wirtschaftskreislauf der Asiaten, Lateinamerikaner und Europäer mitversorgt. Der wichtigste Kreditgeber wurde zum größten Kreditnehmer. Amerika hatte die Welt verändert, nun wirkten die Rückkoppelungen der veränderten Welt auf ihren Ursprungsort zurück. Es kam zur Verwandlung Amerikas.
Alle bedeutenden Volkswirtschaften der Welt liefern heute Waren in die USA , ohne in gleichem Umfang dort einzukaufen. Im Handel mit China betrug das Defizit 2011 rund 295 Milliarden Dollar, im Handel mit Japan waren es
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