Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Schuldenstaat und kreditgebender Bank zu festigen. Man räumte der Staatsanleihe einen Sonderstatus ein. Sie zählt nun nicht mehr als Kreditposition in der Bankbilanz, sie musste nicht länger mit Eigenkapital besichert werden. Damit wurde der Schuldschein des Staates von » riskant « auf » sorglos « umetikettiert. Mit dem gewünschten Ergebnis, dass Banken und Versicherungen nun erst recht beherzt zugriffen. Im Grunde konnte man nun staatliche Schuldscheine in unbegrenzter Höhe erwerben, da für sie keinerlei Eigenkapital vorgehalten werden musste. Ihr Kauf war kostenfrei. Die steigende Staatsverschuldung wurde für die Banken nun erst ein lohnendes Geschäft.
Denn es ist keineswegs so, dass die Geldhäuser den enormen Kreditbedarf des Staates aus den Einlagen ihrer Kunden decken können. Das können sie nicht. Die europäischen Banken sind selbst hoch verschuldet. Auf neun Billionen Euro – knapp das Vierfache der deutschen Wirtschaftsleistung – belaufen sich derzeit die Schulden der europäischen Banken. Wer morgen früh eine beliebige westliche Bank überfallen wollte, sähe sich mit der bitteren Erkenntnis konfrontiert, dass er im Kassenraum nur einen überdimensionierten Schuldschein vorfinden würde.
Die Staatsanleihe konkurrierte also fortan nicht mehr mit Unternehmensanleihen, Aktien und Immobilieninvestments, sondern begründete eine Anlageklasse von eigener Erhabenheit. Der Staat hatte sich als Schuldner damit selbst einen VIP -Status eingeräumt – zum beiderseitigen Vorteil. Aber auf Kosten der Zukunft, wie sich bald zeigen sollte. Die Zündschnüre für die spätere Implosion des Finanzsystems waren gelegt.
Die Ursachen der heutigen Verwerfungen allerdings reichen über die Finanzwirtschaft hinaus. Ihren Ausgangspunkt nahm die Bastardisierung unseres Wirtschaftssystems in der Realwirtschaft. Im Kern des Kerns der westlichen Industriegesellschaft hatte in den 70er Jahren eine Schrumpfung eingesetzt. Die USA , das war die bittere und deshalb unvermittelbare Erkenntnis des Jimmy Carter, erlebten eine industrielle Kernschmelze.
Einige Produktionszweige, dazu gehören die Möbelindustrie, die Unterhaltungselektronik, viele Autozulieferer und auch Teile der Autoindustrie, verließen das Land. Die neuen Jobs entstanden in Mexiko, Lateinamerika und Asien. Das Zeitalter der beschleunigten Globalisierung hatte begonnen. Es führte zu einer weltweiten Neuverteilung der entscheidenden Produktionsfaktoren Kapital, Wissen und Arbeit.
Der schärfer werdende Wettbewerb mit Japan, schließlich mit Indien und China, wirkte sich negativ auf die Leistungsbilanz der USA aus. 1970 übertrafen die Exporte die Importe noch um drei Milliarden Dollar. 1971 wurde das erste Defizit aktenkundig. Seit Mitte der 70er Jahre haben die USA in keinem Jahr mehr ausgeführt als eingeführt. Die Verhältnisse hatten sich umgekehrt. Aus dem größten Exporteur der Welt war der größte Importeur der Welt geworden.
Amerika schaute zunächst neugierig, schließlich voller Ingrimm auf die noch neuere Welt. Bill Clinton sprach mit Blick auf Peking von » strategischer Partnerschaft « , George W. Bush bereits von » strategischer Rivalität « . Wer die Vereinigten Staaten zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrachtet, sieht noch immer eine Weltmacht. Aber es ist eine Weltmacht, die von außen Konkurrenz bekommen hat und deren ökonomische Basis erodiert. Die Konzerne der IT -Branche und der Aufstieg des Finanzsektors können die Einbußen in den anderen, den traditionellen Hochburgen des US -Industrialismus bis heute nicht ausgleichen.
Ein besorgter US -Kongress berief am 28. Oktober 1998 – 19 Jahre nach Carters Malaise-Rede und 17 Jahre nach Reagans Weckruf – eine Kommission ein, um die Auswirkungen des Handelsbilanzdefizits und des Sterbens der Industriearbeit zu untersuchen. Donald Rumsfeld, der spätere Verteidigungsminister, Robert Zoellick, der damalige Handelsbeauftragte, Anne Krueger, die ehemalige Chefvolkswirtin des Weltwährungsfonds, und MIT -Professor Lester Thurow sollten sich ein Bild von der Lage verschaffen.
In dem 2007 veröffentlichten Buch » Weltkrieg um Wohlstand – Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden « habe ich diesen Kongressreport, eines der schonungslosesten Dokumente der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, ausführlich beschrieben. Hier noch einmal die Kurzversion:
Bis zum Ende der 70er Jahre war die Welt der Amerikaner in Ordnung. In den ersten drei Jahrzehnten nach Kriegsende wuchsen die
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