Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
anderen erhebt als gegen sich selbst. Was er nicht zahlt, wird er nicht bekommen. Der Sozialstaat hat die Kaninchen, die er aus dem Zylinder zieht, vorher selbst hineingesteckt.
Nun versucht die Politik seit geraumer Zeit, auch Kaninchen auf Kredit zu kaufen. » Implizite Staatsverschuldung « nennen die Experten den Mechanismus der wundersamen Selbstbeschenkung, weil es sich dabei um eine indirekte Form der Verschuldung handelt. Auch sie besteht aus roten Zahlen, aber das Rot ist weniger grell und damit nicht ganz so gut sichtbar. In die Berechnungen des Maastricht-Vertrags, der die Schuldenobergenzen der Staaten nennt, fanden diese impliziten Schulden keinen Eingang. Wäre es anders gewesen, hätte Deutschland nicht der Eurozone beitreten können. Nirgendwo ist der Sozialstaat größer als hierzulande. Und nirgendwo ist damit auch die Zahl der ungedeckten sozialen Ansprüche höher als in Deutschland.
Derzeit bestehen Forderungen gegen den Sozialstaat in Höhe von 3,7 Billionen Euro, die durch keinerlei Einnahmen gedeckt sind. Das entspricht einer impliziten Verschuldung in Höhe von 147 Prozent unserer Wirtschaftskraft, sagt Professor Bernd Raffelhüschen, der diese unbequeme, aber zur Wahrheitsfindung notwendige Berechnung Jahr für Jahr anstellt.
Einen Vorteil hat die heimliche Staatsschuld gegenüber der offiziellen: Später – wenn die partielle Zahlungsunfähigkeit der Sozialversicherungen festgestellt werden muss – kommt es nicht wie im Falle Griechenlands zum Schuldenschnitt, sondern nur zu einer Leistungskürzung. Die Deutschen haben darin bereits eine gewisse Übung. Zahlte die Rentenversicherung vor 35 Jahren noch 60 Prozent des Durchschnittsgehalts, sind es heute nur noch 50 Prozent. Konnte man damals mit 65 Jahren auf die Ruhestandsgelder zurückgreifen, muss man bald das Alter von 67 Jahren erreichen. Diese Art des » Haircuts « hat sich als der deutsche Weg des Schuldenverzichts erwiesen. Die notorisch aufgeregten Teilnehmer an den Weltfinanzmärkten sind nicht involviert. Und der Bürger leidet lautlos. Seine Rente ist sicher, nur die Höhe steht noch nicht fest. Vor allem für die Beamten, die auf einem Berg von Pensionsansprüchen sitzen, wird bald schon die Stunde der Wahrheit schlagen.
Die deutsche Staatsschuld sieht also anders aus als die amerikanische. Die Gründe für ihr Entstehen aber sind die gleichen. Es kam in der Realwirtschaft zu Schrumpfungsprozessen. Das Wirtschaftswachstum, also der Wohlstandszuwachs pro Jahr, verlangsamte sich. In der Zeit von 1950 bis 1970 wuchs die deutsche Volkswirtschaft um durchschnittlich 6,4 Prozent. Zwischen 1970 und 1990 drosselte die Volkswirtschaft ihr Wachstumstempo um fast zwei Drittel auf 2,6 Prozent. Und von 1990 bis 2010 wurde die bereits abgesenkte Zuwachsrate nochmals fast halbiert – auf ein Wachstum von durchschnittlich 1,6 Prozent. Auch die deutsche Wirtschaftsgeschichte ist also bei allen Erfolgen, die wir uns zugutehalten, eine Geschichte der Wachstumsverlangsamung.
Das Tempo der Verschuldung weist die entgegengesetzte Dynamik aus. 1980 betrug die deutsche Staatsverschuldung erst 239 Milliarden Euro oder 30 Prozent der Wirtschaftskraft. Zwischen 1980 und 2000 legte die Verschuldung um rund 400 Prozent oder 970 Milliarden Euro zu. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wuchs sie erneut um 66 Prozent oder 800 Milliarden Euro. Sie beträgt zum Jahresanfang 2013 2,05 Billionen oder rund 80 Prozent unserer Wirtschaftskraft.
Die Behauptung der Regierung, das viele neue Leihgeld sei in den Aufbau von Zukunftsprojekten geflossen, ist freihändig erfunden. Die Regierung macht sich hier die Tatsache zunutze, dass die Bürgerschaft sich auf Lehrer, Bauarbeiter, Softwareingenieure und weitere 1000 Berufe verteilt. Nur ein Bruchteil ist Statistiker und daher in der Lage, das professionelle Unwahrheitswesen der Politik zu durchschauen. Aber die Wahrheit ist: Der Anteil der Investitionen an allen öffentlichen Ausgaben, die sogenannte Investitionsquote des Staates, befindet sich seit 1980 auf dem Rückzug. Sie hat sich seit der Regierungszeit von Helmut Schmidt mehr als halbiert.
Allein um den ständigen Wertverlust von Schulen, Universitäten, Brücken, Kanalisation, Straßen und Schienennetz auszugleichen, benötigte man 2011 rund 44 Milliarden Euro. Das ist der natürliche Verschleiß der öffentlichen Infrastruktur und daher der Betrag, der in der Bilanz abgeschrieben wird. Sinken die Investitionsausgaben unter den Wert der
Weitere Kostenlose Bücher