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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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Abschreibungen, haben wir es mit Substanzverzehr zu tun. Seit 2003 ist das in Deutschland der Fall.
    Man muss kein amtlich vereidigter Sachverständiger sein, um das zu sehen. Der optische Eindruck von Schulen und Straßen bestätigt den statistischen Befund. Der Kreditboom dient erkennbar nicht dem Zukunftsaufbau, sondern der Befriedigung einer unstillbaren Gier nach Gegenwart.
    Nun ist die staatliche Verschuldung keine Erfindung der Neuzeit. Neu ist nur die frivole Enthemmtheit, mit der dies alles geschieht. Um uns einen Überblick über den Charakter der Veränderung zu verschaffen, sollten wir uns gedanklich auf eine Teststrecke für Formel-1-Piloten begeben. Wäre der Staat ein Rennwagen und der Verschuldungsgrad von 50 Prozent des Sozialprodukts würde auf dem Tachometer als eine Geschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde angezeigt, wäre Kanzler Brandt 50 km/h und sein Nachfolger Schmidt 95 km/h gefahren. Einheitskanzler Kohl erhöhte das Tempo auf 155 Stundenkilometer. Merkel rast bereits mit 205 Kilometern pro Stunde über die Piste.
    Im Zuge der Euro-, Staaten- und Bankenrettung gab sie Garantieerklärungen und Bürgschaften ab, die, wenn sie fällig werden sollten, die deutsche Staatsschuld nochmals um 250 Milliarden Euro oder zwölf Prozent unserer Wirtschaftskraft steigern würden. Nach Fälligwerden dieser Verpflichtungen würde Merkel mit 230 Stundenkilometern dahinsausen. Das Risiko des Unglücks steigt.
    Das Vorgehen der Regierungen wirft nicht nur Fragen der Seriosität auf, sondern auch Fragen der Legitimation. Darf eine für vier Jahre gewählte Regierung Entscheidungen treffen, die die Spielräume späterer Generationen derart beeinträchtigen? Wirkt nicht diese Form des Zukunftsverzehrs wie eine Enteignung, bei der die Betroffenen, die Ungeborenen in diesem Fall, nicht einmal die Chance haben, den Rechtsweg zu beschreiten? Und bedeutet es nicht generell einen Missbrauch des parlamentarischen Budgetrechts, wenn die jetzige Generation von Abgeordneten das Königsrecht des Parlaments schon im Vorgriff auf die ihr nachfolgenden Abgeordnetengenerationen ausübt?
    Die Verschuldung wirkt durch die Jahrzehnte nach. Das ist das Teuflische an ihr. Eine Sporthalle beispielsweise, die 1970 mit einer Million Euro geliehenem Geld gebaut wurde, würde (einen Zinssatz von vier Prozent unterstellt) von der Gemeinde und ihren Bürgern bis zum Jahr 2010 fast fünfmal bezahlt. Zu den Baukosten von einer Million Euro kommen nämlich 3,8 Millionen Euro an Zinszahlungen dazu, da der Staat sich angewöhnt hat, auf Tilgung zu verzichten. Der Zinseszins-Effekt treibt ein böses Spiel. Die Kosten der Sporthalle steigen – da die Mechanik von Zins und Zinseszins ja nie zum Stillstand gebracht wird – sogar ins Unendliche. Die Banken triumphieren, aber der Bürger wird mit jeder Sporthalle, die auf diese Art gebaut wird, geschädigt. Bei ihrer Einweihung müsste eigentlich ein Trauermarsch gespielt werden.
    Wer die öffentlichen Haushaltsbücher aufschlägt, bekommt die Geschichte von Maß- und Gedankenlosigkeit im Detail erzählt. Noch der kleinste Kredit ist hier verzeichnet. Vor allem aber fällt der wachsende Posten für die Zinslast auf. Allein beim Bund fließen mittlerweile zehn Prozent aller Ausgaben direkt an die kreditgewährenden Banken zurück, rund 30 Milliarden Euro jährlich. In den Bundesländern Bremen, Saarland und Berlin müssen mittlerweile zweistellige Prozentzahlen des Landeshaushalts für die Zinszahlung reserviert werden.
    Dabei haben wir noch das Glück, dass Deutschland das Geld im Durchschnitt zu einem Niedrigzinssatz von 1,3 Prozent geliehen bekommt. Ein Anstieg der Schuldzinsen um zwei Prozent würde den Staatsetat um weitere vier Milliarden Euro pro Jahr belasten, was dem Dreifachen des Betreuungsgelds entsprechen würde. Der Posten » Zinsbelastung « ist jetzt schon größer als der Verteidigungsetat, der eine 250 000-Mann-Armee zu unterhalten hat.
    In der nunmehr 64-jährigen Geschichte der Bundesrepublik mussten Länder, Kommunen und der Bund bisher insgesamt 1350 Milliarden Euro an Zinszahlungen an ihre Gläubiger überweisen. Dieser Betrag entspricht der 2,5-fachen Summe der in 2011 erwirtschafteten Unternehmensgewinne. Die Kreditfinanzierung ist die bequemste und zugleich die teuerste Art, ein Gemeinwesen zu finanzieren.
    Die große Umverteilung unserer Tage findet daher keineswegs zwischen Arm und Reich statt, wie die politische Debatte uns weismachen will, sondern zwischen geboren

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