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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabor Steingart
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und ungeboren. Unsere Nachfahren sind dazu verdammt, hohe Wachstumsraten zur Bedienung der Billionenschuld zu erwirtschaften. Gelingt ihnen das nicht, wartet auf sie ein Leben in Zinsknechtschaft. » Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar « , hat die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann einst gesagt. Aber diese Wahrheit ist den Menschen nur schwerlich zumutbar. Schon deshalb lohnt es, ihr Eintreffen zu verhindern.
    Der Aufstieg der Banken als Ermöglicher von Politik
    Nun sollten wir nicht so tun, als habe die neue Zeit nur Verlierer produziert. Das hat sie nicht. Kaum treten wir aus dem Schatten der staatlichen Schuldenberge heraus, sehen wir die Sonne, die auf die Hochhäuser der Banken scheint. Hier wohnen die großen Ermöglicher von Politik. Banker finanzieren die Aufrüstung in Griechenland (gegen die zehn Mal größere Türkei) mit der gleichen Nonchalance wie den Anti-Terror-Krieg der Amerikaner. Sie geben für die Ausreichungen der Sozialkassen mit derselben gleichgültigen Monotonie wie für den Bau von Sportstadien oder Klärwerken.
    Der Finanzmarkt lässt sich in keinem Fall eine Abrechnung oder auch nur Plausibilitätsberechnungen vorlegen. Nur mit dem Daumen taxiert er das ungefähre Risiko des Investments und richtet danach seinen Zinssatz aus. Länder, die wie Deutschland als sichere Schuldner gelten, zahlen nur 1,3 Prozent. Länder wie Italien, die für ihre problematischen Finanzverhältnisse bekannt sind, müssen knapp sechs Prozent entrichten. Doch auch der italienische Staat zahlt diese Zinssätze bisher immer aus neuem Leihgeld, womit die Stunde der Wahrheit ein ums andere Mal verschoben wird.
    Dem Finanzsektor ist die staatliche Kreditsucht gut bekommen. Die Banken schauen zurück auf eine Periode historisch einmaliger Prosperität. Es gibt keine andere Branche, die seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts derart aufgeblüht ist. Betrug die Bilanzsumme aller amerikanischen Banken 1990 erst 3,3 Billionen Dollar, waren es 2010 bereits 11,8 Billionen Dollar, inflationsbereinigt ergibt sich ein Wachstum um 134 Prozent. Zur gleichen Zeit wuchs das amerikanische Bruttosozialprodukt nur um real 63 Prozent.
    In Deutschland das gleiche Bild. Die Bilanzsumme der Deutschen Bank hat sich zwischen 1990 und 2010 um real 640 Prozent erhöht. Verfügte das Institut im Einheitsjahr erst über eine Bilanzsumme von 204 Milliarden Euro, was acht Prozent des deutschen Sozialprodukts entsprach, steigerte sich das Geschäftsvolumen bis 2010 auf knapp zwei Billionen Euro. Damit betreibt eine einzige Bank Geldgeschäfte nahezu in Höhe der Wirtschaftskraft von Europas größter Volkswirtschaft. Sie ist, gemessen an den Geldern, die sie bewegt, ein Staat im Staate.
    Dieses Superwachstum ist nicht Ausdruck besonderer Leistungen, sondern Ausdruck besonderer Umstände. Die dem Gemeinwohl verpflichteten Politiker und die auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Banken verstehen sich nicht länger als Gegenspieler, sondern als Partner. Sie bilden eine Zugewinngemeinschaft mit angeschlossener Rückversicherung. Der eine kann ohne den anderen nicht mehr leben. Deshalb rettet heute der Staat die Banken und die Banken retten den Staat.
    Ausgerechnet im zentralen Sicherheitsbereich unserer Marktwirtschaft kam es zu einer Mutation. Der Staat, eigentlich für die Rahmensetzung zuständig, und die Banken, ursprünglich mit der Geldversorgung der Volkswirtschaft beauftragt, begannen eine Zusammenarbeit, bei der jeder in den Grenzbereich des anderen vorstieß. Die Banken wurden zum Ermöglicher von Politik. Der Staat stieg zum Protegé des privaten Geldgeschäfts auf. Der für die Marktwirtschaft konstituierende Zusammenhang zwischen Risiko und Verantwortung wurde entkoppelt, die Trennung von Privatinteresse und Gemeinwohl hob sich auf. Der Schiedsrichter begegnet uns seither als Mitspieler; derweil der Spieler sich als Schiedsrichter geriert. Ein wirtschaftlicher Hybrid erblickte das Licht der Welt, der die Artengrenze von Staat und Privatwirtschaft übersprungen hat. Eine Bastardökonomie bildet sich seither heraus, die in der klassischen Volkswirtschaftslehre so nicht vorgesehen war.
    Der Wachstums- und Bedeutungsschub des Finanzsektors ist in der neueren Geschichte ohne Beispiel. Am ehesten noch vergleichen lässt sich die neue Rolle des Geldgewerbes mit der Funktion der Medici im Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts, als eine Familie mit ihrer » Banca Medici « das Staatswesen beherrschte. Auch hier war es die enge Beziehung

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