Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
einer nahezu vollständigen Entwertung der bisher investierten Gelder –, desto saftiger die Angstzuschläge. Die Renditen der südeuropäischen Staatsanleihen, die vor der Lehman-Pleite zwischen 4,5 und 4,8 Prozent für die zehnjährige Staatsanleihe gelegen hatten, stiegen nun auf bisher nicht gekannte Höhen: Plötzlich verlangten die Investoren für weitere Kredite an Griechenland 17 Prozent, dann 23 Prozent und für kurze Zeit sogar 48 Prozent. Aber auch die Portugiesen mussten einen Risikoaufschlag von bis zu 16,2 Prozent zahlen. Insgesamt erhöhte sich das Zinsniveau in Südeuropa spürbar, auch für Spanien und Italien, die nun in der Spitze einen 7-Prozent-Risikoaufschlag zu zahlen hatten, um eine zehnjährige Staatsanleihe platzieren zu können.
Ein solches Zinsniveau kann nur der Schuldner bedienen, der schneller wächst, als er zahlen muss. Alle anderen aber beginnen jetzt mit dem Substanzverzehr. Es kommt, so nennen es die Ökonomen, zur Kontraktion. Bei schrumpfender Volkswirtschaft – wie wir sie in Griechenland, Spanien und Portugal seither sehen – fällt die Wirtschaftsleistung und mit ihr auch die Fähigkeit, die alten Schulden zu bedienen. Ein immer größerer Anteil des erzeugten Wohlstands muss an die Banken abgeführt und dem nationalen Konsum entzogen werden. Oder aber mit den erhöhten Zinsen steigt der Kreditbedarf. In beiden Fällen verschlechtert sich die Position des Schuldners, weil sich das Verhältnis der Gesamtschuld zur Gesamtwirtschaftskraft zugunsten der Schulden verschiebt. So erhält der Spekulant immer neuen Stoff für seine Angsterzählung. Und am Ende wird, was als Übertreibung begann, in die Wirklichkeit überführt, sodass der Spekulant als der große Seher dasteht.
Ohne die Notenbank geht in dieser Situation nicht viel. Denn die Bastardökonomie neigt dazu, sich doppelt zu überschätzen. Sie produziert eine Staatsschuldenkrise, weil Regierungen sich mit Kredit vollstopfen, auch wenn sie ihn sich schon lange nicht mehr leisten können. Und sie produziert bei den Banken eine Liquiditätskrise, weil diese mehr Kredit ausreichen, als ihrer Bilanz guttut. Die Staaten haben am Ende zu viele Schulden und die Banken zu wenig Eigenkapital, um sich ihren gemeinsamen Exzess weiter leisten zu können.
So schmilzt in beiden Fällen das Vertrauenskapital, das zwar nicht in der Bilanz ausgewiesen wird, gleichwohl aber die Grundvoraussetzung für das Weiterleben bedeutet. Staaten, die das Vertrauen ihrer Schuldner verlieren, werden durch hohe Zinsniveaus schlussendlich vom internationalen Kapitalmarkt ausgeschlossen. Genau das ist den Griechen passiert.
Banken aber, die das Vertrauen ihrer Kunden und ihrer Aktionäre verlieren, sind nicht besser dran. Ihnen droht ein » bank run « , also das kollektive Leerräumen der Einlagen durch verunsicherte Sparer. Angesichts der Tatsache, dass die Ausleihungen selbst bei einer solide geführten Bank die Ersparnisse im Verhältnis 1:10 übersteigen, führt der Ansturm der Sparer binnen kürzester Zeit zu dem Ergebnis, das diese zuvor fürchteten. Die Bank rutscht tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit. Der Albtraum wird, wenn er massenhaft geträumt wird, allein schon deshalb wahr.
Der Rückzug der Aktionäre wirkt in dieser aufgeheizten Situation wie ein Fanal. Er verunsichert die Sparer, und er schneidet der Bank den einzig denkbaren Weg zur Selbstrettung ab, weil sie nun aus eigener Kraft keine Kapitalerhöhung mehr durchführen kann. Wer wollte das sinkende Schiff noch besteigen? Eine Bank, deren Aktienkurs systematisch fällt, hat ihr Vertrauenskapital überstrapaziert. Von irgendwoher muss ihr nicht nur Geld, sondern vor allem Vertrauen injiziert werden. Dafür braucht sie erneut die Notenbank.
Die Aktien der europäischen Banken fielen im Gefolge der Immobilien-Finanz-Euro-Staatsschulden-Krise auf ein Niveau, das nur noch 40 Prozent des Vor-Krisen-Stands entspricht. Sie haben also mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Die internationalen Investoren ließen sich, auch das kann man daraus lesen, nicht von den unterschiedlichen Namen für ein und denselben Sachverhalt irritieren. Die Krise war und ist für sie eine Bankenkrise, von allem Anfang an. Die Mutation der Finanzwirtschaft war denen, die in ihr und mit ihr arbeiteten, nicht entgangen. Oder wie das Vorstandsmitglied einer europäischen Großbank im Schutz der Anonymität bereitwillig einräumt: » 90 Prozent unserer Produkte braucht kein Mensch. «
Wenn diese
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