Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Produkte – und die mit ihnen erzielten Umsätze, Gewinne und Bonuszahlungen – einer braucht, dann sind es die Banken selbst, die ihr altes Spiel gern fortsetzen würden. Die Politik lässt sie gewähren. Sie braucht diese Produkte zwar nicht. Aber sie braucht die Banken, weil die ihr weiterhin helfen sollen, die Staatshaushalte zu finanzieren. Und beide zusammen sind einmal mehr auf den dritten in ihrem Bunde angewiesen.
Die Europäische Zentralbank in Frankfurt und die Federal Reserve Bank in Washington sind in der fortgeschrittenen Bastardökonomie unerlässlich. In einer Welt des großen Bluffs, in der Überschuldung von Staaten und die Unterdeckung von Banken einander bedingen, sind sie die letzte vertrauenswürdige Instanz. So wie die Inkas dem geheimnisvollen Sonnengott huldigten, so betrachten die westlichen Regierungen ihre Notenbanken als Lebensquelle mit transzendenter Kraft. So wie der Sonnengott für das Schöne und Ewige stand, stehen die Notenbanken für das Stabile, das Unfehlbare und auch für das Großzügige. Die Menschen sündigen, aber die Notenbank verzeiht.
Sie vergibt Schuld, indem sie Schulden übernimmt. Sie spendet Lebenszeit dadurch, dass sie Liquidität und Vertrauenskapital zur Verfügung stellt. Sie druckt jene geheimnisvolle Substanz, die Staat und Banken so dringend benötigen: Geld – in all seinen hybriden Darreichungsformen. Die Niedrigzinspolitik, der Aufkauf von Staatsanleihen durch die eigene Notenbank und die Hebelung der diversen europäischen Rettungsschirme dienen allesamt nur einem einzigen Zweck: der wundersamen Geldvermehrung.
Notenbanken, die in unseren Lehrbüchern noch als » Währungshüter « bezeichnet werden, hat man dadurch zu Gelddruckmaschinen umprogrammiert. Es scheint, als seien die Staaten von der Gold- über die Geld- zur Illusionswährung übergegangen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jene Schwarzmaler Recht behalten, die bei der Abschaffung des Goldstandards mutmaßten, die Kaufkraft des neuen Papiergelds werde früher oder später seinem inneren Wert entsprechen, also in Richtung Null tendieren. Peter Sloterdijk brachte die in gleicher Weise pekuniären wie illusionären Ereignisse auf den Punkt: » Die Regierungen verpfänden die Luft über ihrem Staatsgebiet, und Banken atmen tief durch. «
Der Bürger spielt in dieser Dreiecksbeziehung – Staat, Banken, Notenbank – nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn ihn alle ständig beim Namen rufen. Er war an der Hervorbringung der neuen Verhältnisse nicht beteiligt. Er hat sie weder verlangt noch abgesegnet. Er hat ja schon Mühe zu verstehen, was da in seinem Namen geschieht.
In den Bahnen der Weltwirtschaft zirkuliert seither das künstlich geschaffene Zentralbankgeld, das durch keinerlei Waren aus der Welt der Fabriken gedeckt ist. Die Bilanzsumme der Fed hat sich seit der Lehman-Pleite verdreifacht, die der EZB verdoppelt. Die EZB ist – mit einer Bilanzsumme doppelt so groß wie die der Deutschen Bank – heute die mit Abstand größte Bank Europas. Das Pfand, das in ihrem Innersten schlummert, sind die Spargroschen und der Fleiß der europäischen Bürger. Denn die transzendente Kraft der Notenbank erwächst ihr aus der tatsächlichen Kraft der sie umgebenden Gesellschaft. In deren produktivem Kern, wo Fabriken und Dienstleistungsfirmen zuhause sind, die allein in Deutschland rund 41 Millionen beschäftigen, entsteht jene geheimnisvolle Energie, von der auch die EZB lebt.
Derart mit ökonomischer Legitimation ausgestattet, stellen die beiden großen westlichen Notenbanken den Geschäftsbanken zu Minimalzins unbegrenzte Liquidität zur Verfügung. Sie bieten Billionen von Euro und Dollar – und jeder nimmt sich, was er brauchen kann. Hunderte von Banken und auch die Finanzierungsgesellschaften der Autokonzerne haben allein bei den letzten beiden Aktionen der EZB – die auf den Namen » Long Term Refinancing Offering « hörten – über eine Billion Euro abgerufen.
Dank des für sie geschöpften Geldes können auch jene Banken, die das Vertrauen ihrer Kunden längst verloren haben, überleben. Und es kommen jene Staaten über die Runden, die derzeit kein privater Investor refinanzieren würde. So bekämpfen in der Bastardökonomie die Akteure die Auswirkungen der von ihr hervorgerufenen Krise mit jenen Methoden, die uns dorthin geführt haben. Der Schuldenberg wächst, die Abhängigkeit zwischen Staat und Geldindustrie nimmt immer weiter zu, die großen Banken werden noch größer.
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