Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Voigt zu Teil wurde, nachdem er mit einer geliehenen Hauptmannsuniform sich Respekt und Autorität verschafft hatte, könnte man problemlos an Merkel und Steinbrück weiterreichen: » Ist ja großartig. Das fährt einem in die Knochen, da steht man vor sich selber stramm. «
Dass der zurückgekehrte Staat nicht überall in Europa so maskulin war, wie er behauptet hatte, zeigte sich kurze Zeit später. Im Süden unseres Kontinents klappte der Retterstaat bald schon ermattet zusammen. Er hatte sich verhoben. Seine behauptete Potenz war den tatsächlichen Möglichkeiten vorausgeeilt.
Pendelte die griechische Staatsschuld in den Jahren vor der Pleite des Bankhauses Lehman um die 100 Prozent, gemessen an der Wirtschaftskraft, waren es 2011 bereits 165 Prozent, 2013 wird sie ohne weiteren Schuldenerlass in Richtung 190 Prozent steigen. Überall in Südeuropa sehen wir das gleiche Bild. Vor der Lehman-Pleite lag die Staatsschuld in Spanien bei rund 30 Prozent der Wirtschaftskraft. Drei Jahre und zahlreiche Rettungspakete später hatte sie sich verdoppelt.
Nirgendwo lässt sich der Einfluss der Bankenkrise auf die Staatlichkeit so deutlich nachweisen wie in Irland. Das Land war bis zum Tag der Lehman-Pleite kaum verschuldet. Nur Gelder in Höhe von 25 Prozent der Wirschaftsleistung standen in den Kreditbüchern des Staates. Aber der Bankensektor spielt in Irland eine große Rolle, zu groß, wie sich jetzt zeigen sollte.
Der Staat rettete seine in Bedrängnis geratenen Banken – und brachte sich selbst damit in die Todeszone. Die Staatsverschuldung vervierfachte sich binnen dreier Jahre. Am Ende war der Staat zahlungsunfähig und musste mit europäischem Geld ebenfalls gerettet werden, das die anderen Regierungen, die Europäische Zentralbank und – einmal mehr – der internationale Kapitalmarkt zur Verfügung stellten.
An die im Maastricht-Vertrag vorgeschriebene Gesamtstaatsschuld von maximal 60 Prozent hielt sich schon vorher kaum jemand. Jetzt wurde diese Schuldenbremse de facto ausgebaut.
Dass diese Art Staatsverträge am laufenden Band nicht nur gebrochen, sondern folgenlos gebrochen wurden, derweil die Politessen in Paris und Berlin jedem Falschparker nachstellen, gehört zu den Alltäglichkeiten einer Bastardökonomie, die sich über den Bürger erhoben hat. Sie lebt ein Leben außerhalb der regulären Staatlichkeit. Ihre Freiheit ist vielleicht nicht grenzenlos, aber die Grenze liegt deutlich außerhalb der Demarkationslinien, die durch Staatsverträge, Parlamentsbeschlüsse und Gerichtsurteile gezogen wurden. Die ekstatische Bastardökonomie ist eine Mutation unseres bisherigen Systems, die wir zwar mit bloßem Auge nicht erkennen können, aber ihre Spur zieht sich durch die Budgets und Bilanzen aller Unternehmen, Institutionen und Staaten.
Es kam zu einer Kettenreaktion, bei der die Rezession und die plötzliche Labilität des Bankensektors in der Logik einer Weiter-So-Politik immer neuer Milliardenspritzen des Staates erforderten. Da dieser, wie eben erwähnt, nirgendwo auf einem Schatz, sondern überall nur auf einem Schuldschein sitzt, mussten die Staaten die weltweiten Finanzmärkte anzapfen. In den zwei Jahren nach dem Ausbruch der Finanzkrise wurden von privaten Investoren drei Billionen Euro aktiviert, um sie in der Bankenrettung und zur Finanzierung der Konjunkturprogramme einzusetzen.
Doch allmählich keimte bei den Geldgebern ein böser Verdacht: Was ist, wenn diese Gelder nie mehr zu ihrem Ursprung zurückkehren? Was passiert, wenn nicht nur Staaten, sondern der gesamte Staatenverbund der Eurozone im wörtlichsten aller Sinne den Geist aufgibt, und man plötzlich wieder Peseten, Lira und Drachme in den Händen hält? Wird die » Verdünnung unseres Geldes « , vor der Erhard so leidenschaftlich gewarnt hatte, zu erhöhter Inflation und damit zur Entwertung des umlaufenden Geldes führen?
Der Zustand der Investoren aus Fernost und Amerika bewegte sich seit dem Auftauchen dieser Fragen zwischen Angststarre und Verlustpsychose, bis dann auch noch jene Spezies auf den Plan trat, die in einem derartigen Klima so prächtig gedeiht. Wir nennen sie vereinfachend » die Spekulanten « . Denn wo die Nervosität groß ist, lassen sich Angstzuschläge kassieren. Die Aussicht auf Extrarenditen versetzt diese Berufsgruppe in Erregungszustände, weshalb sie alles tut, die Angst zur Panik aufschießen zu lassen.
Je höher das echte oder auch nur vermeintliche Risiko eines Währungskollapses – und damit
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